Kunst trifft Handwerk

In der Dekorationsabteilung des Hans Otto Theaters nehmen Bühnenbilder stofflich Gestalt an – Spezialeffekte inklusive. Ein Besuch in der Werkstatt.
Auch nach 30 Jahren noch mit Freude bei der Arbeit: Raumausstatter Ingo Jesorka
Meterhohe Stellwände, opulente Sessel und eine raumfüllende Arbeitsplatte – in der Dekorationsabteilung des Hans Otto Theaters sind die Spuren der handgefertigten Kulissen nicht zu übersehen. Fast zeitgleich haben die Raumausstatter Ingo Jesorka und Andreas Trüschel 1990 ihren Weg an das Theater gefunden. Seitdem nähen sie Vorhänge, beziehen Gestelle und verleihen Bühnenelementen Spezialeffekte, um nur ein paar ihrer Aufgaben zu nennen. Sie kommen aus Potsdam und Teltow; zuvor hatten sie bei einem privaten Polsterer gearbeitet. Doch nach 1989 wurde ihre Handwerksarbeit immer weniger gebraucht. „Nach der Wende sind die Leute in die Läden gegangen und haben günstig Möbel gekauft“, erzählt Ingo Jesorka. „Das konnte ein privater Polsterer, der das per Hand anfertigt, gar nicht bieten.“ Im kreativen Mikrokosmos des Theaters dagegen sind genau diese Fähigkeiten bis heute gefragt.

An seiner Arbeit in der Deko-Abteilung schätzt Jesorka besonders die kreative Freiheit zwischen Kunst und Handwerk. Denn nur selten machen die Bühnenbildner*innen exakte Vorgaben für die genaue Ausführung. Das eröffnet den beiden Raumausstattern einen schöpferischen Spielraum. Und ihre Tätigkeiten sind äußerst vielfältig: Sie fertigen Soffitten (Deckenkulissen) und Prospekte (Wandkulissen) an, verkleiden Stellwände, verspannen Folien und Effektgewebe und sind zur Stelle, wenn Möbel neu gepolstert werden müssen – egal, ob Königsstuhl oder altes Sofa. Manchmal fabrizieren sie auch Taschen für die Requisite oder Koffer mit Spezialeffekten. „Wir verarbeiten hier alles, was mit Stoff in Verbindung gebracht wird. Nur keine Kostüme“, erklärt Jesorka schmunzelnd. Manchmal sind es auch simple Tätigkeiten wie zum Beispiel beim Bühnenbild von „Vor Sonnenaufgang“: Das Herzstück des Bühnenbildes – ein mit Wasser gefülltes rundes Becken – haben sie mit Teichfolie ausgelegt. Für die Winteroper nähen Jesorka und Trüschel Deckenkulissen und Prospekte. Nachdem diese im Malsaal bemalt werden, kehren sie nochmal zurück in die Dekorationsabteilung und werden dort auf das richtige Maß konfektioniert. Viele Bühnenelemente wandern von Gewerk zu Gewerk und werden dort weiter bearbeitet. Ohne gutes Zeitmanagement kommt es dabei auch schnell mal zu Unstimmigkeiten.

Langweilig wird den beiden bei ihrer Arbeit selten, denn fast jedes Bühnenbild fordert ihren Erfindungsreichtum heraus. Auch Scheitern gehört immer wieder dazu, bis die perfekte Technik gefunden ist. „Oft muss man wieder von vorn beginnen“, meint Jesorka. Auch die Teamarbeit muss immer wieder neu austariert werden. Manchmal knirscht es dabei zwischen den beiden, doch in der Regel kommen sie gut miteinander klar. „Ich bin stolz darauf, dass das auch nach 30 Jahren immer noch klappt“, sagt Jesorka.

Heute werden Polsterer auch jenseits der Theaterwelt wieder mehr und mehr nachgefragt. „Jetzt haben die Leute wieder Geld und lassen auch alte Möbel aufpolstern. Und jetzt merkt man sowohl als Sattler wie auch als Raumausstatter: Wir haben wieder Arbeit“, ist Ingo Jesorka zuversichtlich. „Der Beruf wird nicht aussterben.“

Leni Roller