Hans Otto hat noch was gut bei uns
Am 10. August wäre er 120 Jahre alt
geworden. Anlass genug, um eine alte
Frage neu zu beantworten: Hans Otto
Theater – wieso eigentlich?
Von Paul Sies
Es ist seltsam – da bin ich schon ein ganzes Jahr Ensemblemitglied des Hans Otto Theaters, habe am Leipziger Schauspielinstitut „Hans Otto“ studiert – und habe immer noch nicht mehr als diffuses Halbwissen über diesen Menschen. Beziehungsweise hatte …
Hans Otto, 1900 in Dresden geboren, ist bereits als junger Schauspieler erfolgreich (als jugendlicher Held und Liebhaber) – Engagements in Gera und Hamburg führen ihn rasch nach Berlin, er steht mit Gustaf Gründgens, Werner Krauß und anderen Großen seiner Zeit auf einer Bühne, nebenbei dreht er Filme. Dabei macht er nie einen Hehl aus seiner politischen Haltung – er ist Kommunist und setzt sich als Gewerkschafter für gerechtere Arbeitsbedingungen an Theatern ein. Einen Monat nach der Machtergreifung wird er von den Nazis „gekündigt“. Im Gegensatz zu vielen anderen flieht Hans Otto jedoch nicht aus Deutschland, ein Angebot in Wien und mehrere Filmanfragen im Ausland lehnt er ab – er bleibt und stellt sich den Nationalsozialisten entgegen. Noch im gleichen Jahr bezahlt er dafür mit dem Leben – im November 1933 wird Hans Otto von der SA gefangen genommen, gefoltert, halbtot geschlagen und schließlich, in Vortäuschung eines Selbstmordes, aus dem Fenster der NSDAPGauleitung gestürzt.
Was macht man als junger Schauspieler, wenn man so eine Biografie hört? Ad acta legen, unter „Drittes Reich“ abspeichern und sich fröhlich der eigenen Karriere widmen? Dann sprechen die Toten nicht zu uns, dann gibt es nichts von ihnen zu lernen, dann bleibt der Name des Theaters, an dem ich arbeite, ein leeres Symbol. Dabei gibt es vieles, das man von Hans Otto lernen kann. Hier also – der Versuch einer kleinen Liste:
Politisches Engagement und Haltung: Im Vergleich zum Vorjahr gab es 2019 in Deutschland einen Anstieg rechter Gewalttaten um zehn Prozent (insgesamt 22.337 Delikte), seit 2010 haben sich die rechten Straftaten in Deutschland verdoppelt. Im Bundestag sitzen offene Faschisten. In nur einem Jahr gab es die rechtsextremen Anschläge von „Einzeltätern“ in Kassel, Hanau und Halle – und dazu Tausende unerzählte, alltägliche rassistische Attacken. Eine Nichtbeschäftigung mit diesen Themen ist in dieser gesellschaftlichen Situation bereits eine Entscheidung, die den Rechten Vorschub leistet. Als Künstler*innen, die wir auch dafür bezahlt werden, wachsam und unbequem zu sein, sehe ich uns hier in der Pflicht – besonders, wenn man den Namen unseres Theaters ernst nimmt.
Kritik – auch im Kleinen: Auch Kulturbetriebe sind nicht gefeit vor regressiven Positionen, politischer Ideologie und Ausbeutungsstrukturen. Die ganz konkreten, kleinen Kämpfe, etwa wenn es um die Gagen von Kolleg*innen ging, führte bereits Hans Otto: „Niemals duldete Hans Otto, dass seinen Berufsgenossen ein Unrecht zugefügt wurde“, erinnert sich der Gewerkschafter Erich Otto. Sich nicht als Einzelkämpfer*in zu verstehen, sich zu organisieren, sei es in Gewerkschaften oder Strukturen wie dem Ensemblenetzwerk, Kolleg*innen den Rücken freizuhalten und damit vielleicht auch mal zu nerven – kann man sich alles von ihm abgucken.
Humor: Wollte man Hans Otto als bierernsten Dogmatiker und Ideologen verstehen (wie es vielleicht schon zu oft getan wurde) – man läge voll daneben. Die Berichte seiner Zeitgenossen und die wenigen Filmaufnahmen sprechen eine andere Sprache: Dass politische Arbeit und Solidarität mit Leichtfüßigkeit, Charme und Spaß einhergehen können, auch dafür steht Hans Otto.
Auf dass dieses Theater noch lange so heißen möge.
Paul Sies wuchs in Darmstadt auf. Er studierte Literatur und Philosophie in Berlin sowie von 2015 bis 2019 Schauspiel in Leipzig. Neben dem Theater ist er auch musikalisch tätig. Seit der Spielzeit 2019/20 gehört er zum Ensemble des Hans Otto Theaters.
Hans Otto, 1900 in Dresden geboren, ist bereits als junger Schauspieler erfolgreich (als jugendlicher Held und Liebhaber) – Engagements in Gera und Hamburg führen ihn rasch nach Berlin, er steht mit Gustaf Gründgens, Werner Krauß und anderen Großen seiner Zeit auf einer Bühne, nebenbei dreht er Filme. Dabei macht er nie einen Hehl aus seiner politischen Haltung – er ist Kommunist und setzt sich als Gewerkschafter für gerechtere Arbeitsbedingungen an Theatern ein. Einen Monat nach der Machtergreifung wird er von den Nazis „gekündigt“. Im Gegensatz zu vielen anderen flieht Hans Otto jedoch nicht aus Deutschland, ein Angebot in Wien und mehrere Filmanfragen im Ausland lehnt er ab – er bleibt und stellt sich den Nationalsozialisten entgegen. Noch im gleichen Jahr bezahlt er dafür mit dem Leben – im November 1933 wird Hans Otto von der SA gefangen genommen, gefoltert, halbtot geschlagen und schließlich, in Vortäuschung eines Selbstmordes, aus dem Fenster der NSDAPGauleitung gestürzt.
Was macht man als junger Schauspieler, wenn man so eine Biografie hört? Ad acta legen, unter „Drittes Reich“ abspeichern und sich fröhlich der eigenen Karriere widmen? Dann sprechen die Toten nicht zu uns, dann gibt es nichts von ihnen zu lernen, dann bleibt der Name des Theaters, an dem ich arbeite, ein leeres Symbol. Dabei gibt es vieles, das man von Hans Otto lernen kann. Hier also – der Versuch einer kleinen Liste:
Politisches Engagement und Haltung: Im Vergleich zum Vorjahr gab es 2019 in Deutschland einen Anstieg rechter Gewalttaten um zehn Prozent (insgesamt 22.337 Delikte), seit 2010 haben sich die rechten Straftaten in Deutschland verdoppelt. Im Bundestag sitzen offene Faschisten. In nur einem Jahr gab es die rechtsextremen Anschläge von „Einzeltätern“ in Kassel, Hanau und Halle – und dazu Tausende unerzählte, alltägliche rassistische Attacken. Eine Nichtbeschäftigung mit diesen Themen ist in dieser gesellschaftlichen Situation bereits eine Entscheidung, die den Rechten Vorschub leistet. Als Künstler*innen, die wir auch dafür bezahlt werden, wachsam und unbequem zu sein, sehe ich uns hier in der Pflicht – besonders, wenn man den Namen unseres Theaters ernst nimmt.
Kritik – auch im Kleinen: Auch Kulturbetriebe sind nicht gefeit vor regressiven Positionen, politischer Ideologie und Ausbeutungsstrukturen. Die ganz konkreten, kleinen Kämpfe, etwa wenn es um die Gagen von Kolleg*innen ging, führte bereits Hans Otto: „Niemals duldete Hans Otto, dass seinen Berufsgenossen ein Unrecht zugefügt wurde“, erinnert sich der Gewerkschafter Erich Otto. Sich nicht als Einzelkämpfer*in zu verstehen, sich zu organisieren, sei es in Gewerkschaften oder Strukturen wie dem Ensemblenetzwerk, Kolleg*innen den Rücken freizuhalten und damit vielleicht auch mal zu nerven – kann man sich alles von ihm abgucken.
Humor: Wollte man Hans Otto als bierernsten Dogmatiker und Ideologen verstehen (wie es vielleicht schon zu oft getan wurde) – man läge voll daneben. Die Berichte seiner Zeitgenossen und die wenigen Filmaufnahmen sprechen eine andere Sprache: Dass politische Arbeit und Solidarität mit Leichtfüßigkeit, Charme und Spaß einhergehen können, auch dafür steht Hans Otto.
Auf dass dieses Theater noch lange so heißen möge.
Paul Sies wuchs in Darmstadt auf. Er studierte Literatur und Philosophie in Berlin sowie von 2015 bis 2019 Schauspiel in Leipzig. Neben dem Theater ist er auch musikalisch tätig. Seit der Spielzeit 2019/20 gehört er zum Ensemble des Hans Otto Theaters.