Wieviel Wahrheit verträgt der Mensch?

Steffi Kühnert ist als Theater- und Filmschauspielerin bekannt. Sie führt aber auch Regie und inszeniert nun in Potsdam den Tennessee-Williams-Klassiker "Die Katze auf dem heißen Blechdach".
Von wegen Theaterrente: Steffi Kühnert bei der Probe in Potsdam
„Die schmecken wie selbstgemacht, ich habe sie aus einer kleinen Bäckerei hier um die Ecke. Die backen noch nach DDR-Rezepten.“ Freundlich schiebt mir Steffi Kühnert den Teller mit Keksen über den Tisch zu, und natürlich kann ich nicht widerstehen. Bei jedem Treffen mit der nur 160 cm großen Powerfrau gibt es erstmal richtig guten Kaffee und Kekse oder andere süße Leckereien.

Wir sitzen uns an ihrem Wohnzimmertisch gegenüber und kommen über Tennessee Williams‘ Stück „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ ins Gespräch. „Die Familie erinnert mich sehr an meine eigene. Wir kennen diese Familienfeste doch alle: Man gibt sich ungezwungen, ist nett zueinander, und wenn es Alkohol gibt, können Dämme brechen.“ Im Berliner Dialekt spricht sie uneitel und authentisch über die eigene Familie, darüber, dass sie es kennt, als am weitesten entfernt lebendes Kind eine Sonderstellung bei den Eltern einzunehmen. „Man ist ja nur selten da, das Kümmern und den Alltag übernehmen die Geschwister, weil sie in der Nähe leben. Das ist nicht gerecht, aber auch nicht änderbar.“

Auch die Figur Brick im Stück ist ein solches Lieblingskind – ein ehemaliger Footballstar, der sich nur auf Familienfeiern sehen lässt und sich sonst aus dem Leben der Eltern raushält. Sein Bruder Gooper hingegen kümmert sich und wird dennoch vom eigenen Vater verachtet. Auf der Feier zum 65. Geburtstag des Familienpatriarchen eskaliert die Situation. Alle bis auf Big Daddy wissen, dass es sein letzter Geburtstag sein wird, da er an Krebs leidet. Viele Hektar Land und das Millionenkapital stehen zur Disposition. Wieviel Wahrheit verträgt der Mensch? Wie ehrlich muss, wie ehrlich darf man innerhalb der Familie sein? Das sind zentrale Fragen, die die Schauspielerin und Regisseurin Steffi Kühnert brennend interessieren.

Anfang der 80er Jahre studierte sie selbst an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, an der sie seit 2009 als Professorin für Schauspiel arbeitet. 20 Jahre spielte die geborene Ostberlinerin auf den verschiedensten Bühnen Deutschlands. Es folgten Film- und Fernsehproduktionen u. a. mit Leander Haußmann, Michael Haneke und Andreas Dresen, die sie bei einem breiten Publikum bekannt machten. 2013 dann die Hauptrolle im Film „Die Frau, die sich traut“ von Marc Rensing. Im gleichen Jahr erklärte sie in einem Interview, sie sei nun in Theaterrente. Doch in der Spielzeit 2016/17 entdeckte sie die Leidenschaft für die Bühne neu. Am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin gab sie ihr Regiedebüt mit Gerhart Hauptmanns „Die Ratten“. Dem von Publikum und Kritik hochgelobten Abend folgte im Jahr darauf ihre ebenso erfolgreiche Inszenierung von „Sein oder Nichtsein“ nach dem Film von Ernst Lubitsch. Jetzt erarbeitet sie Tennessee Williams bekanntes Stück für das Hans Otto Theater und freut sich auf die Probenarbeit mit dem Ensemble.

Alexandra Engelmann
Veröffentlicht in ZUGABE MAGAZIN 03-2019