„Nur das Persönliche ist politisch“

Die niederländische Regisseurin Nina de la Parra über ihre Potsdam-Recherche "Bartleby – Ich möchte lieber nicht", Verweigerung als Haltung und Theater als gemeinsame Reise
Nina de la Parra
Worauf freust du dich bei der Recherchearbeit in Potsdam?
Nina de la Parra: Auf den Weg, den ich gemeinsam mit dem Ensemble gehen werde. Meine Arbeit ist immer sehr persönlich an die Biografien und Interessen der Schauspieler*innen angelehnt. In diesem Falle wird es noch persönlicher, weil wir gemeinsam ein Stück entwickeln. Das heißt: Ohne die Geschichten und Erfahrungen aller gibt es keinen Theaterabend. Ich freue mich auf diese vollkommen offene Reise. Die Recherche führt uns vielleicht auf total unerwartete Wege. Das mag ich an so einer Arbeit: Man kann sich im Vorfeld sehr viele Gedanken machen, aber die wirkliche Geschichte entsteht erst zusammen mit den Schauspieler*innen.

Ist das Politische für dich privat?
Privat nicht, persönlich absolut. Für mich gibt es einen großen Unterschied zwischen privat und persönlich. Privat ist das, was nicht in die Kunst gehört. Das, was bei dir zu Hause bleibt, was nicht verarbeitet ist, was niemand sehen möchte. Das Persönliche aber ist das Absolute von Kunst und Theater. Es ist der künstlerische Umgang mit dem Privaten, in der Umsetzung. Wenn in der Kunst etwas nicht persönlich ist, kannst du es wegschmeißen, finde ich. Ich bin davon überzeugt, dass nur das absolut pure Persönliche wirklich politisch sein kann. Wie man das dann darstellt, ist eine andere Frage. Wenn ich Nelson Mandela sprechen höre, ist es nur persönlich für mich. Wenn ich Trump sprechen höre, ist es nur persönlich für mich. Ich interessiere mich erstmal für Psychologie: Was ist in der Vergangenheit passiert, aus welcher Familie kommen diese Leute, welche Figuren sehe ich auf der Bühne? Berührt mich das? Und dann kommt man zu einer politischen Geschichte. In meinem Comedy-Soloprogramm in den Niederlanden geht es sehr persönlich um mich, um meine Haltung zum Leben. Dadurch ist es zutiefst politisch.

Braucht es mehr Bartlebys in unserer Gesellschaft?
Hmmm, schwierig. Ich glaube, die gibt es schon. Allerdings gehen sie unter, wie in Melvilles Geschichte. Bartleby ist am Ende fertig, erschöpft und gebrochen. Hätte eine Anpassung ans System ihn ebenso gebrochen? Ich weiß es nicht. Unserer Gesellschaft würden mehr Leute guttun, die Leitung übernehmen – und zwar nicht auf gewalttätige und primitive Weise, wie man es heutzutage überall sieht, sondern auf sanfte, ruhige und klare Art. Bartlebys Haltung ist in diesem Sinne interessant, weil er nicht abweicht, aber auch nicht gewalttätig wird. Aber wäre es gut für unsere Gesellschaft, wenn viele Leute sich einfach verweigern? Das ist schwierig zu beantworten.

Inwieweit interessiert dich Potsdams Vergangenheit?
Sehr. Ich lese mich gerade ein: in die Geschichte der DDR und speziell die Geschichte Potsdams. Das ist faszinierend. Als Niederländerin schaue ich natürlich frisch und mit Distanz auf die DDR-Vergangenheit. Ich kann mir vorstellen, dass die DDR-Geschichte Potsdams im Stück zum Thema wird, weil man da klar sehen kann, wie Systeme auf Systeme stoßen und man nicht einfach sagen durfte: Ich möchte lieber nicht. Ob mein Interesse daran letztlich auch auf der Bühne sichtbar wird, ist noch die Frage – vielleicht führen mich die Schauspieler*innen ja in eine komplett andere Richtung? Vielleicht ist das Stück auf einem Raumschiff verortet, weil sich alle sechs Spieler*innen mit künstlicher Intelligenz und der Entdeckung von Zeit und Raum beschäftigen. Wer weiß?

Welchen Anteil wird die Musik haben?
Ich hoffe, einen großen, denn ich glaube, wir haben eine sehr musikalische Truppe. Wir werden Rita Herzog, die Solorepetitorin des Theaters, intensiv mit einbeziehen, um zu schauen, inwiefern wir ein kleines klassisches Ensemble zusammenstellen können. Das wäre total toll. Musik spielt bei mir immer eine große Rolle. Dadurch können wir auf andere, emotionalere und sinnlichere Ebenen gelangen.

Was liebst du an deiner Arbeit?
Ich liebe fast alles im Prozess der Regie und die Art, wie ich Regie interpretiere: Vom ersten Lesen des Textes über die Vorbereitung mit meiner Bühnen- und Kostümbildnerin Carla Friedrich bis zur Bauprobe am Theater, von der Premiere bis zu der Dernière. Am allermeisten jedoch liebe ich die Probenphase mit den Schauspieler*innen, vor allem den ersten Probenmonat, wenn alles noch offen ist, man gemeinsam eine Reise unternimmt und das Endergebnis noch nicht wichtig ist. Es geht um Bereicherung, Dialog, um gemeinsame Entdeckungen.

Interview: Natalie Driemeyer

veröffentlicht in ZUGABE MAGAZIN 02-2019