„Für euch bin ich doch nur ’n Freak“

Der Schauspieler Andreas Spaniol über Theater in der Fußgängerzone, das Ankommen in Potsdam und die Einsamkeit des "Othello", als der er gerade am Hans Otto Theater zu sehen ist
„Für manchen hier bin ich zu weiß“: Andreas Spaniol als Othello bei der Aktion „SchauSpielFenster“ am 22. September (links: Maskenbildnerin Sophie Schütt)
Einen Vorgeschmack auf „Othello“ bekamen die Potsdamer*innen schon im September in der Brandenburger Straße: Bei der Aktion „SchauSpielFenster“ wurdest du im Geschäft Intersport Olympia für deine Rolle geschminkt und trugst danach einen Monolog aus dem Stück vor. Wie hast du diesen Außeneinsatz erlebt?
Andreas Spaniol: Das hat sehr viel Spaß gemacht. Zuerst dachte ich, ein Monolog in der Fußgängerzone – das kann schwierig werden! Wir haben eine Textstelle ausgesucht, in der sich Othello an das venezianische Volk bzw. an die Armee wendet. Ihm wurde gerade die Macht übertragen, er soll den Feldzug gegen die Osmanen anführen. Das Ganze hat einen sehr offensiven, einladenden Charakter. Ich wollte es eigentlich nur zwei-, dreimal innerhalb dieser zwei Stunden machen, bis ich sah, dass sich immer wieder neugierige Menschentrauben bildeten. Und ich dachte: Jetzt aber raus, unters Volk! Othello sagt in dieser Situation, dass er für den einen oder anderen möglicherweise nicht die richtige Hautfarbe habe. Er glaube aber daran, dass man die Probleme der Republik Venedig nur gemeinsam lösen könne und er sich in diesen Dienst stellen werde. Das hat wunderbar funktioniert – die Leute waren dran, schienen sehr interessiert.

Wurdest du auch angesprochen?
Nicht direkt. Aber wenn ich gesagt habe: „Für manchen hier bin ich zu weiß“, gab es jedesmal einen Lacher.

Bei Shakespeare ist Othello schwarz, er wird aber in der Inszenierung von Mario Holetzeck anders markiert – nämlich mit einer weißen Perücke. Warum dieser Kunstgriff?
Es gibt ja diese „Blackfacing“-Debatte im Theater. Und die Frage war: Wie trägt man dem Rechnung? Das Regieteam kam mit dem Vorschlag, Othello als eine Art Albino darzustellen. Ich finde diese Lösung gut, weil sie das Problem anders greifbar macht. In Afrika gibt es auch „schwarze Albinos“, die nicht selten aus ihren Gemeinschaften ausgeschlossen oder getötet werden, weil sie Unglück bedeuten. Der Albino in unserer Gesellschaft wirkt ganz anders. Es hat erstmal so eine „freakige“ Komponente. Und da sind wir an dem Punkt Ausgrenzung über Äußerlichkeiten. Das ist hochaktuell.

Gehen wir nochmal einen Schritt zurück und betrachten deinen Werdegang. Du hast eine Ausbildung zum Elektromechaniker gemacht. Warum ist keiner aus dir geworden?
Mein Vater hat immer gesagt: Du lernst erstmal ein Handwerk! Und dann hab ich das gemacht. Nebenher habe ich Theater gespielt. Aber erst durch die langjährige Arbeit in diesem Jugendclub des Kinderund Jugendtheaters in Saarbrücken wurde mir klar, dass mir das sehr viel mehr bedeutet als alles andere. Ich glaube, ich wäre ein guter Elektromechaniker geworden, aber irgendwie merkte ich: Das kann’s nicht sein. Dann dachte ich diesen verrückten Gedanken zu Ende, bewarb mich an einer Hochschule und begann, Schauspiel zu studieren.

Was war so verrückt daran?
Ich komme aus einem kleinen Dorf im Saarland. Da gab es entweder Handwerker oder Bergarbeiter. Künstler gab es meines Wissens nicht. Mein Entschluss führte damals sogar zu Verwerfungen im Freundeskreis meiner Eltern. Da hieß es: Der spinnt! Was soll das? Wenn das mein Junge wäre …!

Dein Weg führte dann von der Hochschule in Bern über Stationen in Trier und Zürich nach Neuss. Von dort zog es dich nun mit der Intendantin Bettina Jahnke und zwei Kolleg*innen aus dem Ensemble nach Potsdam. Wie fühlt sich dieser Wechsel an?
Ich laufe immer noch mit großen Augen durch die Gegend. Das Haus ist viel größer als in Neuss. Hier arbeiten viele wirklich tolle Schauspieler und gute Regisseure. Das fühlt sich alles sehr gut und richtig an.

Deine erste Premiere war „Der gute Mensch von Sezuan“, wo du unter anderem den Schreiner spieltest. Nun also „Othello“. Worum geht es in diesem Stück?
Othello wird aufgrund seiner Fähigkeiten als Feldherr in eine Gesellschaft aufgenommen, in die er nicht hineingehört. Er glaubt irgendwann dazuzugehören. Er verliebt sich in Desdemona, sie verliebt sich in ihn. Diese Art Liebe ist etwas Neues und auch Unbekanntes in seinem Leben. Doch durch die Intrige, die Jago hinter seinem Rücken anzettelt, nimmt dieses Gefühl des Fremdseins in ihm wieder überhand. Desdemona hat ihn faktisch nicht betrogen, trotzdem reichen die Nadelstiche von Jago aus, um ihn massiv zu verunsichern. Ich habe mich natürlich gefragt: Wie kann es sein, dass Othello Desdemona so abgöttisch liebt und Jago es trotzdem schafft, ihn so zu verunsichern, dass er sie am Ende umbringt? Was ist das für eine seltsame Nibelungentreue zu Jago? Warum redet er nicht offen mit ihr? Desdemona ist sich natürlich keiner Schuld bewusst und sagt gerade darum immer die vermeintlich falschen Sachen. Das wiederum nährt seinen Zweifel. Alles zusammen führt zu einer unfassbaren Implosion und wirft ihn letzten Endes darauf zurück, was er ist: Er gehört nicht dazu. Es war eine Illusion.

Was fasziniert dich an der Figur Othello?
Zum einen diese ganz außergewöhnliche, besondere Liebe zu Desdemona, die es schafft, alle Zweifel auszutilgen, alles wegzudrücken. Und dann diese Erkenntnis: Ich bin halt für euch doch nur ’n Freak. Am Ende ist er ganz allein. Und begreift, dass er sich die Welt schöner geredet hat, als sie ist. Diese Verunsicherung treibt ihn in die Raserei und lässt ihn das Kostbarste in seinem Leben töten.

Die Inszenierung ist noch in Neuss entstanden und kommt nun hier in teilweise neuer Besetzung auf die Bühne. Wird sie sich dadurch nochmal verändern?
Davon gehe ich aus. Das Tolle an dieser Theaterarbeit ist für mich unter anderem die Begegnung mit den Kolleg*innen, das gemeinsame Ringen um die Sache. Ich versuche, mit größtmöglicher Neugierde dem Blick des anderen zu begegnen. Insofern freue ich mich auf diese neuen Lesarten, beispielsweise in der Begegnung mit Laura Hänsel, die die Rolle der Desdemona übernimmt.

Interview: Björn Achenbach
Veröffentlicht in ZUGABE MAGAZIN 02-2018