Kleines philosophisches Küchentheater

Nahrhafte Kost großer Denker, würzig zubereitet von Arne Lenk und René Schwittay
Was macht diese Aus-Zeit der Kontaktsperre mit uns, und vor allem: Was machen wir selbst daraus? Wir könnten die Zeit nutzen – zum Nachdenken über uns selbst, über das Leben, die Gesellschaft, die Kunst. Gesagt – getan, dachten sich die Schauspieler Arne Lenk und René Schwittay. Gemeinsam mit dem Dramaturgen Christopher Hanf durchforsteten sie Texte bekannter Philosophen, die Bezüge zu unserer Corona-dominierten Gegenwart aufweisen, und drehten eine Reihe kurzer Videoclips, die unter dem Titel "Kleines Philosophisches Küchentheater" nun immer am Wochenende auf unserer Website erscheinen. Es geht um Themen wie "Mitleid", "Langeweile", "Zeit", "Freundschaft" und "Verzweiflung". Zu Wort kommen die Herren Büchner, Kierkegaard, Nietzsche, Schopenhauer, Pascal und andere große Denker. Es ist angerichtet: Wir wünschen guten Appetit!    

Folge 11: Ruhe (Johann Wolfgang Goethe)

Im Leben und Schreiben des 1749 in Frankfurt am Main geborenen und 1832 in Weimar gestorbenen Johann Wolfgang Goethe spielt der Gedanke der Universalität eine wichtige Rolle. Bekanntlich war Goethe nicht nur Autor eines umfangreichen literarischen Werks, sondern u.a. auch mit naturwissenschaftlichen Forschungen und vielfältigen Regierungsgeschäften befasst. Er interessierte sich für die großen Kreisläufe und Rhythmen des Daseins. Gelingendes Leben bedürfe des stimmigen Ausgleichs zwischen verschiedenen Phasen, z.B. zwischen anstrengender Aktivität (Systole) und der passivischer Ruhe (Diastole). Das als eines der schönsten Goethe-Gedichte geltende „Wandrers Nachtlied“ (aus diesem Videoclip) soll entstanden sein, als sich Goethe in eine Waldhütte zurückgezogen hatte, "um dem Wuste des Städtchens, den Klagen, den Verlangen, der unverbesserlichen Verworrenheit der Menschen auszuweichen".
Mit wenigen, schlichten Worten vermag es eine Grundkonstellation des Daseins aufzurufen und dabei auch die Dimension des Todes in den Blick zu nehmen.

Folge 10: Systemzwänge (Georg Simmel)

Der Berliner Philosoph und Soziologe Georg Simmel (1858-1918) hat mit scharfem Blick auf Alltagsphänomene seiner Gegenwart und insbesondere des Großstadtlebens eine hellsichtige Analyse der Ambivalenzen der beginnenden modernen Gesellschaftsordnung geliefert: Einerseits ermöglichten die Prozesse der Rationalisierung, Ausdifferenzierung und Beschleunigung einen kulturellen Fortschritt sowie das Zusammenleben in immer komplexeren Strukturen. Andererseits zeigten diese Prozesse aber auch die Tendenz, sich zu verselbständigen und die Kontrolle zu übernehmen. Die Vorgänge des individuellen Lebens würden dadurch „versachlicht“ und in Funktionsabläufe, die sich nach der Präzision eines Uhrwerks vollziehen, eingeordnet. Alles werde nach der abstrakten, kalten Logik des Geldes bemessen und ausgerichtet. Die Störung dieser Abläufe sowie das je Besondere, Überraschende, Persönliche seien in diesen Systemzusammenhängen nicht vorgesehen.

Folge 9: Betriebsamkeit (Friedrich Nietzsche)

Friedrich Nietzsche (1844-1900) war/ist ein Denker von enormer Sprengkraft. Seine stilistisch brillanten Texte stehen quer zur klassischen Philosophie, wirkten stets polarisierend und waren von großem Einfluss auf die Kunst- und Kulturgeschichte. Nietzsche wendet sich gegen ein Dasein, das Zwecken, Zwängen und nicht zuletzt dem Diktat des Geldes und der Ökonomie unterworfen ist (wie im Text dieses Video-Clips, der „Die fröhliche Wissenschaft“ entnommen ist). Er bescheinigt den herrschenden Kontrollmächten, den Sinn- und Moralsystemen, dass sie auf hohlem Grund gebaut seien. Indem er nihilistisch den Glauben die Wahrheit dieser abstrakten Systeme zerbricht, feiert er zugleich die Bejahung des Lebens in seiner individuellen, konkreten und körperlichen Form. „Sind das noch Menschen, fragt man sich, oder vielleicht nur Denk-, Schreib- und Redemaschinen?“, heißt es in einer seiner Schriften.

Folge 8: Geduld (Rainer Maria Rilke)

Der 1875 in Prag geborene und 1926 bei Montreux (Schweiz) gestorbene Rainer Maria Rilke gehört zu den großen Dichtern der literarischen Moderne. In seiner Lyrik, seinen Prosawerken, Briefen und Tagebuchaufzeichnungen befasst er sich intensiv mit der Wirklichkeit der Dinge und Menschen. Indem er diese mit seismographischer Wahrnehmungsfähigkeit beobachtet, vermag er die abgründige, rätselhafte Poesie, die in allen Erscheinungen dieser Welt verborgen liegt, in dichterische Sprache zu überführen. Gerade auch das Kleine, das vermeintlich Unscheinbare sowie das Geheimnisvolle des Lebens geraten ins Zentrum seines poetischen Blicks (wie auch im Text dieses Video-Clips, dem Brief an Franz Xaver Kappus, vom 16.7.1903). Die moderne Industriegesellschaft mit ihrer Reizüberflutung, Massenhaftigkeit und Vereinzelung bedeutet für Rilke hingegen vor allem Schock und Entfremdung.

Folge 7: Komödie und Tragödie (Arthur Schopenhauer)

Die Weltsicht des wirkungsstarken deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer (1788-1860) ist durch Pessimismus gekennzeichnet: Die Menschen, getrieben von der Urkraft des Willens, jagten beständig einem vermeintlichen Glückszustand hinterher und gerieten darüber andauernd in einen Kampf miteinander, was notwendig zu Leiden führe. Das Leben gaukle einem die Möglichkeit von Glück nur vor, tatsächlich sei es gekennzeichnet durch „unerfüllte Wünsche und zertretene Hoffnungen“, es sei in Wahrheit ein einziger Betrug. Kunst, Musik, Literatur und Theater könnten dabei helfen, diesen fortwährenden Betrug zu erkennen und sich dadurch von den eigenen Wünschen zu befreien. Das führe die Menschen in eine heilsame Resignation und einen Zustand der Gelassenheit. Der als glänzender Stilist bekannte Schopenhauer nutzt in seinen auf schlagende Weise erhellenden, oft bitter komischen Vergleichen häufig das Bildfeld des Theaters.

Folge 6: Zeit (Blaise Pascal)

Der herausragende französische Mathematiker, Philosoph und theologische Denker Blaise Pascal (1623-1662) lebte in einem Land, das sich als prunkvolle, absolutistisch regierte europäische Großmacht präsentierte. Pascal begegnete dieser großspurigen barocken Welt mit Skepsis. In seinen Aufzeichnungen „Pensées“ („Gedanken“), die zu den meistgelesenen Texten der europäischen Geistesgeschichte gehören, beschreibt er die Grundsituation der Menschen als eine paradoxe: sie seien „ein Nichts im Hinblick auf das Unendliche, ein Alles im Hinblick auf das Nichts“; zerrissen zwischen diesen Abgründen verbringen sie ihr Leben. Die Einsicht in diese Lage führe zum Gefühl großer innerer Unruhe und Verlorenheit. Mit allerlei „Zeitvertreib“ versuchten sich die Menschen davon abzulenken, statt sich dem Wesentlichen - ihrer Seele und dem Verlauf der Zeit - mit Ruhe hinzuwenden. 

Folge 5: Verzweiflung (Sören Kierkegaard)

Der große dänische Denker Sören Kierkegaard (1813-1855) gilt als Begründer der Existenzphilosophie. Im Zentrum seines Ansatzes steht die Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst. Ein Selbst in der Welt zu sein, bedeutet für Kierkgaard, ein Leben führen zu müssen, das durch existenzielle Widersprüche gekennzeichnet ist. Die Herausforderung  bestehe darin, sich dieser Situation bewusst zu stellen - und die damit einhergehende Verzweiflung sowie Momente des Scheiterns anzunehmen. Dagegen seien die Sucht nach Anerkennung, das Funktionieren in bürgerlichen Rollenbildern, das Festhalten an äußeren Konventionen etc. nichts anderes als Ablenkungsmanöver und Verdrängungsversuche - Fluchtbewegungen vor dem eigentlichen Selbst. U.a. Dostojewski, Heidegger, Camus und Sartre sind wesentlich von Kierkegaard beeinflusst. 

Folge 4: Kunst (Friedrich Schiller)

Das für die Epochen „Sturm & Drang“ und „Weimarer Klassik“ sowie insgesamt für die deutsche Geistesgeschichte maßgebliche Werk Friedrich Schillers (1759-1805) umfasst nicht nur die berühmten Dramen und Gedichte, sondern auch hoch spannende philosophische Texte. In seiner Schrift „Die ästhetische Erziehung des Menschen“ (1793) sieht Schiller, der ja ein Emphatiker der Freiheit ist, die Gesellschaft seiner Zeit in Bruchstücke zerfallen und zahlreichen Zwängen unterworfen. Heilung für die beschädigten, entfremdeten gesellschaftlichen Prozesse böte in dieser Situation vor allem: die Kunst. In ihrem „fröhlichen Reiche des Spiels und des Scheins“ verlören Moral, Vernunft und Physis ihren Zwangscharakter, und es entstünde ein Möglichkeitsraum der Freiheit, eine spielerische Gesellschaftsutopie.

Folge 3: Langeweile (Georg Büchner)

Georg Büchner (1813-1837) war Mediziner, Revolutionär und Schriftsteller. Sein in extrem kurzer Zeit entstandenes Werk („Dantons Tod“, „Lenz“, „Leonce und Lena“, „Woyzeck“) ist für spätere literarische Entwicklungen von wegweisender Bedeutung und hat eine ausgeprägte sozial- wie existenzphilosophische Dimension. Büchner, der zur Bewegung des Vormärz gehörte, beteiligte sich an revolutionären Umtrieben gegen Feudalismus und soziale Ungerechtigkeit; vom Staat wurde er steckbrieflich gesucht. Er experimentierte mit den unterschiedlichsten, neuartigen literarischen Formen. In seinem Stück „Leonce und Lena“, dem das Zitat dieser Folge des Küchentheaters entnommen ist, beklagt er aus der Perspektive des an existenzieller Langeweile erkrankten Prinzen Leonce den hohlen Leerlauf in der Geschäftigkeit der bürgerlichen, „besseren“ Gesellschaft und fragt nach der Sinnhaftigkeit allen menschlichen Tuns und Treibens. Er tut dies voller Traurigkeit, Schmerz, Wut, Witz und Ironie.

Folge 2: Mitleid (Arthur Schopenhauer)

Arthur Schopenhauer (1788-1860) gehört zu den wichtigsten deutschen Philosophen des 19. Jahrhunderts. In Opposition zum Idealismus Hegels ist Schopenhauers Weltsicht tragisch bzw. pessimistisch. Schopenhauer, dessen Philosophie sich vor allem in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ entfaltet, sieht den Menschen grundlegend getrieben durch einen egoistischen Willen. Diese Naturkraft, die auch seine Vernunft sowie sein ganzes Handeln dominiere, bewirke, dass alles Leben letztlich Leiden bedeute. Befreiung und Entlastung von der Herrschaft dieses egoistischen Willensdruckes böten allein: die Kunst, das Mitleiden und die Resignation. Schopenhauers Philosophie, die auch eine gewisse Nähe zum Buddhismus aufweist, war von großem Einfluss auf spätere Philosophen, Künstler und Schriftsteller (wie Friedrich Nietzsche, Leo Tolstoi, Sigmund Freud, Richard Wagner, Thomas Mann, Thomas Bernhard u.v.a.).

Folge 1: Einfachheit (Henry David Thoreau)

Henry David Thoreau (1817-1862) ist ein amerikanischer Philosoph undSchriftsteller, der in Massachusetts im Nordosten der USA lebte. In einer Art Selbstexperiment zog er sich 1845 aus der Gesellschaft zurück, um für zwei Jahre allein in einer kleinen Hütte im Wald zu leben. Inspiriert durch diese Erfahrung schrieb er das Buch „Walden oder Leben in den Wäldern“, das bis heute als Standardwerk der Zivilisationskritik gilt. Darin fordert er ein Dasein im Einklang mit der Natur. Thoreau,der mit dem bekannten amerikanischen Philosophen und Dichter Ralph Waldo Emerson befreundet war, engagierte sich auch gegen soziale Ungerechtigkeit und Sklaverei und gilt als Vorreiter der Praxis des gewaltlosen zivilen Ungehorsams.

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Folge 8: Geduld (Rainer Maria Rilke)
Folge 9: Betriebsamkeit (Friedrich Nietzsche)
Folge 10: Systemzwänge (Georg Simmel)
Folge 11: Ruhe (Johann Wolfgang Goethe) 
Kamera, Schnitt und Musik: Marc Eisenschink
Voiceover-Aufnahme und Mastering: Daniel Wolff
Idee und Leitung: Christopher Hanf