„Vertrauen ist das Wichtigste“

Regisseurin Bettina Jahnke und Ausstatter Juan León über "Amadeus", die Vorzüge des Schlosstheaters und die Frage, wieviel Freiraum die Kunst braucht
Schon vor euren gemeinsamen Arbeiten am Hans Otto Theater bei „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, „Queens Men“ und „Vögel“ wart ihr immer wieder ein künstlerisches Team …
Juan León: Ganz am Anfang haben wir am Staatstheater Cottbus „Der Kaufmann von Venedig“ und „Die Dreigroschenoper“ zusammen gemacht. Später in Neuss war „Hiob“ eine wichtige Etappe.
Bettina Jahnke: Ich finde es jedes Mal toll, dass mich Juan mit seinen Bühnenentwürfen überrascht. Denn ich lese Stücke, ohne Räume zu sehen. Ich lese sie auf die Figuren und deren seelische Zustände hin. Dann reden wir, nähern uns im Gespräch dem Stück an. Und dann kommt Juan mit einem Entwurf, der mich überrascht. Es ist nie das Erwartete oder das, was wir besprochen haben. Stattdessen denkt er nochmal weiter – und kommt mit einem Schatz zurück. Meist kann ich damit sofort etwas anfangen.

Juan, wie schaffst du es, Bettina Jahnke zu überraschen?
León: Das frage ich mich auch (lacht). Ich lese ein Stück ja auch zuerst, ohne Räume vor mir zu sehen. Beim zweiten oder dritten Lesen kommt dann der Moment, wo eine Idee entsteht. Nicht jeder Entwurf ist von vornherein verständlich. Manchmal brauchen Bettina und ich ein oder zwei Tage, um diesbezüglich zueinanderzufinden. Funktioniert es nicht, mache ich etwas Neues. Aber ich habe immer großes Vertrauen, dass sie den Ball, den ich ihr zuwerfe, auffängt und zurückspielt. Oft, wenn sie meinen Entwurf annimmt, kommt bei mir der große Schreck – oh, funktioniert das wirklich? Oder bin ich übers Ziel hinausgeschossen? Später überrascht es mich, wie sie die Bühne mit ihrer Regiearbeit gemeinsam mit dem Ensemble belebt – und mit dem, was hinzukommt, die Musik oder Choreografie.
Jahnke: Vertrauen ist das Wichtigste in so einer Zusammenarbeit. Das Vertrauen, dass der oder die andere diesen Freiraum, den wir uns mit der Kunst nehmen, auch besetzt und belebt. Und dass weitergedacht wird. Das Vertrauen ist so groß, dass wir uns gegenseitig zu Experimenten inspirieren. Ich schätze Partner*innen, die in mir neue Denkräume eröffnen. Denn das geht weiter beim Kostüm, bei der Musik, der Dramaturgie. Ich habe es unheimlich gern, wenn so etwas wie eine kreative Wolke entsteht. Natürlich gibt es auch Auseinandersetzungen. Manchmal sagt man auch: Das geht gar nicht! Und ein paar Wochen später entdeckt man: Doch, es geht. Es ist immer ein Weg, und manchmal kommt man über Umwege auf ganz neue Zusammenhänge.

Ihr arbeitet beide zum ersten Mal in dem Theaterraum im Neuen Palais. Inspiriert euch dieser Ort?
Jahnke: Ich will gern das Schlosstheater mit seinem historischen Ambiente kennenlernen. Mich interessiert dabei die Nähe zum Publikum. Man kann sehr präzise und fein im Detail arbeiten. Das möchte ich bei
„Amadeus“ nutzen.

Wie ist es als Bühnen- und Kostümbildner?
León: Das Schlosstheater ist schon eine Inszenierung an sich. Für mich ist es spannend, dort etwas hineinzusetzen. Ich habe das über einen Kontrast gelöst, mit einem Raum, der dem Stücktext nochmal eine weitere Dimension hinzufügt. Das macht riesigen Spaß.

Was interessiert dich als Regisseurin an „Amadeus“?
Jahnke: Diese höfische Gesellschaft, in der der Umgang fest codiert ist und mit der ein Künstler wie Mozart – bei uns von Paul Sies gespielt – in Konfrontation gerät. Was hat das mit uns heute zu tun? Ich bin Regisseurin und gleichzeitig Intendantin, und ich arbeite an einem Stadttheater, das auch von Codes und festen Regeln bestimmt ist. Ich versuche darin meinen Freiraum als Künstlerin zu finden und anderen Künstler*innen Freiräume zu ermöglichen. Mich beschäftigt die Frage, inwiefern ein Künstler oder eine Künstlerin außerhalb der Gesellschaft stehen muss, um sich an ihr reiben zu können. Muss er oder sie Freiräume besetzen und von dort provokant und anarchisch agieren? Oder kann es genauso auch innerhalb des Systems gelingen? Das interessiert mich aufgrund meiner eigenen Biografie, aber auch grundsätzlich: Wieviel Freiraum braucht die Kunst?

Der Komponist Antonio Salieri war zu Lebzeiten überaus erfolgreich und später lange Zeit fast vergessen. In Peter Shaffers Stück spielt er die zentrale Rolle. Wem schenkst du mehr Sympathie – Mozart oder Salieri?
Jahnke: Es gibt eine starke Diskrepanz zwischen Antonio Salieri in Shaffers Stück und der realen Persönlichkeit. Wenn man sich mit dieser beschäftigt, erfährt man, dass er ein umgänglicher und sehr kreativer Mensch gewesen sein muss, der viele Kompositionen schuf und die Kunst Mozarts förderte. Eine Feindschaft oder gar der Mord an Mozart sind eine literarische Erfindung. Wir werden uns gemeinsam mit dem Schauspieler Andreas Spaniol, der den Salieri spielt, auf eine Suche begeben, um auch seine Figur zu verteidigen. Ich kann das absolut nachvollziehen, was in der Theaterfigur Salieri vor sich geht: In seinen Augen hat Mozart, dieser Narr, dieser Wirrkopf, den göttlichen Funken empfangen und wurde dadurch zu solch genialischen Kompositionen fähig. Salieri selbst hört das als einer der wenigen. Zu begreifen, dass man dies nicht selbst erschaffen kann, muss schwer auszuhalten sein.
Historisch korrekt ist das Stück also nicht …
Jahnke: (lacht) Stimmt. Wir müssen zwischen Wirklichkeit und Fiktion unseren eigenen Weg finden.

Juan, wie gehst du konkret an die Bühne und Kostüme heran?
León: Die Fiktion wird noch weiter zugespitzt. Eine wichtige Idee war, dass sich die Auseinandersetzung zwischen den beiden Künstlern im Kopf von Salieri abspielt, dass alles aus Salieris Perspektive erzählt wird. Mozart und andere Figuren tauchen auf. Aber immer erleben wir die subjektive Perspektive von Salieri. Darauf will ich mit der Bühne und den Kostümen Bezug nehmen. Das heißt: Wir zitieren den Barock und das Rokoko, wir zitieren diese Zeit. Aber es gibt immer Dissonanzen, Dinge, die nicht ganz stimmen. Hinzu kommt, dass Salieri seine Auseinandersetzung nicht allein mit Mozart führt, sondern auch mit Gott. Eine Hybris, die etwas Tragisches, aber auch etwas unfreiwillig Komisches hat. Sie erzählt auch etwas von uns Künstlern – dass wir manchmal das Maß verlieren ...

Bettina, wie setzt du die Idee, dass alles in Salieris Kopf stattfindet, szenisch um?
Jahnke: Wir haben mit Achim Gieseler einen Komponisten dabei, der Mozarts Musik nochmal verfremden und bearbeiten wird. Oft hören wir die Musik wie durch Salieris Ohr. Dadurch ist sie manchmal sogar etwas schräg und überraschend. Die Choreografin Annett Scholwin entwickelt dazu Bewegungen, die das Albtraumhafte der Perspektive deutlich machen. So wollen wir erzählen, wie ihn die Stimmen in seinem Kopf provozieren und malträtieren. Immer wieder wird er damit konfrontiert, dass Mozart diese genialische Musik erschafft, und sein Konflikt mit Gott spitzt sich weiter zu.

In der Handlung dominieren die Männer: Mozart und Salieri, dazu die Menschen am Hof um Kaiser Joseph II. Wie siehst du die einzige Frau Constanze Mozart, die von Laura Maria Hänsel gespielt wird, in dem Gefüge?
Jahnke: Sehr spannend finde ich, dass Constanze – ebenso wie Mozart – aus dem bürgerlichen Rollenmodell ausgestiegen ist und diesen vielversprechenden jungen Künstler geheiratet hat. Es war für sie ein sehr unstetes, chaotisches Leben. Sechs Kinder hat sie geboren, von denen nur zwei das Erwachsenenalter erreichten. Ihr Leben mit Mozart war nicht ruhig und gesittet. Das spricht für ihren Mut, sich den vorgeschriebenen Rollenmustern zu verweigern. Später hat sie sich sehr um das Werk und den Nachlass Mozarts gekümmert. Sie war eine sehr bemerkenswerte Frau.

Wenn ihr an die nächsten Wochen bis zur Premiere denkt, was wünscht ihr euch?
León: Dass wir ohne Unterbrechungen, welcher Art auch immer, arbeiten können.
Jahnke: Ja, das ist auch mein größter Wunsch. Denn die Krisen und Zweifel, mit denen man in der künstlerischen Arbeit zu tun hat, die sind wir gewohnt, sie gehören dazu. Aber dass Corona immer noch auf den Proben mit anwesend ist und wir morgens nicht wissen, ob wir am nächsten Tag wieder proben können, das bringt im Moment viel Unruhe und Energieverlust mit sich.

Interview: Bettina Jantzen

(erschienen in: ZUGABE 01-2022 vom 25. Februar 2022)