Liebe zum Material

Die Puppenspielerin und Regisseurin Nathalie Wendt haucht dem Spielzeugabenteuer "Der standhafte Zinnsoldat" fantasievoll Leben ein.
Nathalie Wendt (Foto: Thomas M. Jauk)
Schon während ihrer Kindheit in Halberstadt liebte es Nathalie Wendt zu malen, zu gestalten, zu singen und überhaupt: zu performen. Als Teenagerin schaute sie leidenschaftlich Stop-Motion-Filme, Zeichentrick- und Puppenfilme – und deren Making-of. Sie wollte wissen, wie die Filmsets aussahen, wie Puppen gebaut und Animationen realisiert wurden. Alles erschien ihr interessant: die Form, der gestalterische Aspekt, das Timing, der Humor. Als sie im Puppentheater Halle live animierte Puppen erlebte, wusste sie: Das ist ihre Universalkunst! Hier kam alles ihren „etwas nerdigen“ Interessen entgegen. Und so studierte sie ab 2011 für vier Jahre an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin in der Abteilung für Zeitgenössische Puppenspielkunst, der sie bis heute als Dozentin verbunden ist. Ab 2015 war als freischaffende Künstlerin weiter Vielseitigkeit gefragt. Heute ist sie Puppenspielerin, Puppenbauerin, Regisseurin und Autorin.

Wenn Nathalie Wendt am Schreibtisch ihrer Berliner Wohnung Puppen entwirft und baut, nutzt sie verschiedene Materialien: Schaumstoff, Holz, Ton, Papier, thermoplastische Materialien, Stoffe zum Beziehen, Kleister zum Kaschieren, gute Klebstoffe und Farben zum Anmalen. Für „Der standhafte Zinnsoldat“ hat sie die Tischpuppen des Zinnsoldaten, der Tänzerin und des Springteufels Jack entworfen. Gebaut wurden sie in den Werkstätten der Hochschule. Das Faszinierende an der Puppenspielkunst besteht für sie darin, wie wenig Animation es braucht, um die Fantasie des Publikums zu beanspruchen und in den Gehirnen entstehen zu lassen, dass ein Objekt lebt, atmet, sich bewegt. Es sei wie eine optische Täuschung, mit der das Gehirn ausgetrickst wird.

Wenn sie selbst als Puppenspielerin agiert, erweitert sie ihre inneren Haltungen, Emotionen und Gedanken auf die Objekte oder Puppen. In diese kann sie alles hineinprojizieren und durch sie dann wieder hinaus zum Publikum. Ganz persönlich ist für sie Puppenspiel „Liebe zu Materialität“. Sie versetzt sich in das Material hinein, spürt, wie es angefasst werden will, und empfindet, wie es mit ihr kommuniziert. Eine besondere Vorliebe hat sie für glatte Oberflächen und klare Formen, was den drei Hauptfiguren ihres Kinderstücks deutlich anzusehen ist. Besonders attraktiv sind für sie Puppen, die nur an einem Punkt berührt werden müssen, um Eigenbewegungen oder ein Eigenleben zu entwickeln – eine Besonderheit, die den Springteufel Jack auszeichnet.

Nathalie Wendt mag die „offene Spielweise“ sehr, bei der die Puppenspieler*innen hinter ihren Puppen zu sehen sind. Es reizt sie, bei ihren Arbeiten Grenzen aufzubrechen – zwischen Puppen- und Schauspiel, aber auch zwischen dem Puppenkörper und dem Körper der Puppenspieler*in. Mehrere ihrer Intentionen lassen sich in ihrer Regiearbeit am Hans Otto Theater wiederentdecken. Es ist beglückend für Nathalie Wendt, ein Stück für Kinder in Potsdam auf die Bühne zu bringen. Zugleich träumt sie von einem Puppenstück für Erwachsene – ist es doch möglich, selbst schwierige Themen mittels Puppenspiel zu verarbeiten.

Bettina Jantzen
erschienen in ZUGABE 2-23