ZERSPLITTERUNG DES ICHS

Interview mit der Regisseurin Alice Buddeberg
Das Frauenbild Schillers hat scheinbar nichts mit unserem heutigen Frauenbild gemein.

Alice Buddeberg: Interessant ist doch die Frage, inwieweit wir über Schillers Frauenbild, das antiquiert erscheint, hinaus sind? Oder dominieren nicht auch heute immer noch Vorstellungen wie die der rührenden Unschuld oder der herrschsüchtigen Frau unser Frauenbild? Und inwieweit entspricht Maria wirklich den Bildern von Unschuld und Schönheit, mit denen sie von Schiller belegt wird? Sind es nicht vielleicht auch einfach Projektionen der Männerwelt auf sie, mit denen sie gezwungen ist umzugehen? Ich hoffe, dass man diese Bilder auf dem Theater umschreiben kann, dass wir uns aus unserer Sehgewohnheit befreien und andere Bilder von Menschen auf der Bühne kreieren können. Interessant ist für mich hierbei gerade die Figur der Elisabeth. Oft wird sie als Marionette ihres Beraterstabs gelesen, aber man kann dieses Bild auch umdrehen und findet dann eine agierende Königin, die ihre Berater instrumentalisiert.

Angst und Einsamkeit sind zwei wesentliche Emotionen, die beide Königinnen gemeinsam haben.

Es gibt die lange Haft Marias. Wie sehr dreht jemand durch, wenn ihm die Welt entzogen wird? Wie stark wird durch die Isolation bei Maria eine Art Wahnsinn ausgelöst, und führt das bei ihr vielleicht auch zu einer gewissen Radikalisierung? Aber auch das Herrschen an sich macht einsam. Alle Entscheidungen müssen letztendlich von Elisabeth allein getroffen werden. Sie kann niemandem trauen. Die Paranoia führt bei ihr zu Einsamkeit. Ihre Angst die Macht zu verlieren, ist enorm. Sie fühlt sich ständig bedroht, gerade weil sie an
der Macht ist. Aber auch ihr ganzer Staat ist von Angst durchdrungen, keiner vertraut dem anderen. An diesem Hof passiert nichts, was nicht öffentlich ist. Es gibt keinen privaten Raum mehr.

Eine Spiegelwand ist Hauptelement des Bühnenbildes.

Das hat etwas mit der Identitätskonstruktion der Figuren und der herrschenden Unsicherheit im Überwachungsstaat zu tun. Hauptthema aller Figuren ist für mich ihre Suche nach sich selbst, also die Frage: wer bin ich innerhalb dieser Konstellation? Mortimer zum Beispiel sagt zu Maria: „Jetzt seh ich Euch, Königin – Euch selbst ! Nicht Euer Bild!“. Und Elisabeth sagt: „Was man scheint, hat jedermann zum Richter; was man ist , hat keinen.“ Die Figuren streben nach Wahrhaftigkeit, können sie aber nicht einlösen. Diese Zersplitterung des Ichs zieht sich als Thema durch das gesamte Stück.

Du durchbrichst in der Inszenierung bewusst die strenge Aktkomposition Schillers.

Mich interessiert, wo die Ungereimtheiten in der Handlung liegen, wo der Fortgang nicht zwangsläufig ist und wo die Geschichte auch hätte anders verlaufen können. Um diese Suche zu verdeutlichen, haben wir die hermetische Aktstruktur Schillers aufgebrochen und erzählen die Geschichte der zwei Königinnen parallel. So dass immer eine auf das Schicksal der anderen blicken kann und das Publikum sich fragen muss, welcher subjektiven Wahrheit es da gerade vertraut.

Interview: Alexandra Engelmann
 

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