Versuch einer Begegnung
Weshalb spricht Haifa? Warum erzählt sie ihre Geschichte? Eine tränenselige Rührstory ist ihr Bericht jedenfalls nicht. Sie will nichts erbetteln. Kein gnädiges Mitleid von oben herab. Es geht ihr auch nicht darum, ihrem Schmerz freien Lauf zu lassen, mal alles loszuwerden, was sie so auf der Flucht erlebt hat. Ihr Monolog ist kein Selbstgespräch. Er ist gerichtet an uns: die Zuschauer. Für Regisseurin Esther Hattenbach handelt es sich bei Haifas Bericht vor allem um eine „Klarstellung“: Nicht der Wunsch nach einem besseren Leben, nach mehr Geld oder Sicherheit waren der Grund für ihre Flucht. Haifa ist aus ihrer Heimat weggegangen, weil sie keine andere Wahl hatte.
Daneben tritt (mindestens) noch ein weiterer Aspekt in ihrer Geschichte hervor: Es fällt auf, dass Autor Stefano Massini der Protagonistin seines im Jahr 2016 entstandenen Stücks eine fast archetypische Dimension verleiht. Ihre Sprache ist klar, kraftvoll und elementar. Wie eine Phänomenologin beschreibt Haifa, was geschehen ist – ohne Sentimentalität oder vorschnelle Wertungen. Sie erscheint dabei als Frau, die ihr Schicksal stets klaglos ertragen hat. Die von der Brüchigkeit menschlicher Existenz weiß. Die gelernt hat, Schmerz auszuhalten und den Tod als ständigen Begleiter des Daseins zu akzeptieren.
Dann aber, in der extremen Situation der Flucht, trifft sie in geradezu existenzialistischer Manier eine Entscheidung: Sie will nicht sterben, sondern leben! Haifa übernimmt Verantwortung für sich und die ihr anvertrauten Kinder. Dadurch dass sie diese Reise zurücklegt, wird sie zu der Person, die sie ist. Insofern stellt ihr Bericht keine Opfergeschichte dar, sondern das Dokument einer Selbstermächtigung, einer Personwerdung. Dabei spielt ihr Name eine wesentliche Rolle: Indem sie sich in höchster Not auf diesen ihren Namen besinnt, ihn laut herausschreit, begründet sie ihren Anspruch auf menschliche Würde, reklamiert sie ihr Existenzrecht als Individuum.
Damit sind wir herausgefordert. Als Zuschauer. Als Theatermacher. Als Bürger Europas, das Zielort so vieler Geflüchteter geworden ist. Wie verhalten wir uns zu Haifas Geschichte? Implizit steckt in Massinis Stück die Aufforderung, auf das Gehörte zu reagieren, Stellung zu nehmen, Haltung zu beziehen. Distanzieren wir uns also von der Fremden? Weisen wir sie ab? Weil sie uns stört in unserem gewohnten Leben? Weil sie zu viel Geld kostet? Weil ihr Schicksal im Lichte der Zahlen und Statistiken kein Gewicht hat? Weil wir nicht die ganze Welt retten können? Oder entdecken wir Gemeinsamkeiten mit ihr? Entwickeln wir Mitgefühl? Übernehmen wir Verantwortung?
Für das Inszenierungsteam war die Arbeit an diesem Stück mit vielen Fragen verbunden. Darf – oder kann man das: eine solche Fluchtgeschichte auf der Bühne darstellen? Ohne wirklich zu verstehen, was diese Erfahrungen für Menschen bedeuten? Ohne nur die eigenen Stereotypen auf das fremde Leben zu projizieren? Wie vermeiden wir, dass eine falsche Betroffenheit entsteht, die sich am eigenen Mitgefühl berauscht? Oder dass die Fluchtgeschichte wie eine spannende Abenteuerstory wirkt?
Regisseurin Esther Hattenbach hat sich entschlossen, diese Fragen und Überlegungen nicht zu verstecken und zu überspielen, sondern zu einem Bestandteil ihres Inszenierungsansatzes zu machen: „Der Grundgedanke war, verschiedene Ebenen der Begegnung zu ermöglichen. Die Schauspielerin begegnet der Figur. Durch das Nachsprechen des Textes wird sie zu Haifa, aber sie bleibt doch immer auch die Person, die sich dieser Geschichte angenommen hat. Auf diese Weise begegnet die Figur dem Publikum. Deswegen haben wir eine Bühnensituation geschaffen, die eine solche Begegnung auch zulässt, wo also das Publikum nicht unten sitzt und die Schauspieler oben spielen, sondern sich alle auf Augenhöhe in einem Raum befinden. Es gibt außerdem einen Musiker auf der Bühne, der mit seiner Musik live auf den Text reagiert. Und daneben bilden drei weitere Schauspieler einen Chor, der ebenfalls in Interaktion mit dem Text tritt und sich ins Verhältnis zu Haifa setzt. Der Versuch der Begegnung ist also das strukturgebende Grundelement dieser Inszenierung.“
Christopher Hanf
Daneben tritt (mindestens) noch ein weiterer Aspekt in ihrer Geschichte hervor: Es fällt auf, dass Autor Stefano Massini der Protagonistin seines im Jahr 2016 entstandenen Stücks eine fast archetypische Dimension verleiht. Ihre Sprache ist klar, kraftvoll und elementar. Wie eine Phänomenologin beschreibt Haifa, was geschehen ist – ohne Sentimentalität oder vorschnelle Wertungen. Sie erscheint dabei als Frau, die ihr Schicksal stets klaglos ertragen hat. Die von der Brüchigkeit menschlicher Existenz weiß. Die gelernt hat, Schmerz auszuhalten und den Tod als ständigen Begleiter des Daseins zu akzeptieren.
Dann aber, in der extremen Situation der Flucht, trifft sie in geradezu existenzialistischer Manier eine Entscheidung: Sie will nicht sterben, sondern leben! Haifa übernimmt Verantwortung für sich und die ihr anvertrauten Kinder. Dadurch dass sie diese Reise zurücklegt, wird sie zu der Person, die sie ist. Insofern stellt ihr Bericht keine Opfergeschichte dar, sondern das Dokument einer Selbstermächtigung, einer Personwerdung. Dabei spielt ihr Name eine wesentliche Rolle: Indem sie sich in höchster Not auf diesen ihren Namen besinnt, ihn laut herausschreit, begründet sie ihren Anspruch auf menschliche Würde, reklamiert sie ihr Existenzrecht als Individuum.
Damit sind wir herausgefordert. Als Zuschauer. Als Theatermacher. Als Bürger Europas, das Zielort so vieler Geflüchteter geworden ist. Wie verhalten wir uns zu Haifas Geschichte? Implizit steckt in Massinis Stück die Aufforderung, auf das Gehörte zu reagieren, Stellung zu nehmen, Haltung zu beziehen. Distanzieren wir uns also von der Fremden? Weisen wir sie ab? Weil sie uns stört in unserem gewohnten Leben? Weil sie zu viel Geld kostet? Weil ihr Schicksal im Lichte der Zahlen und Statistiken kein Gewicht hat? Weil wir nicht die ganze Welt retten können? Oder entdecken wir Gemeinsamkeiten mit ihr? Entwickeln wir Mitgefühl? Übernehmen wir Verantwortung?
Für das Inszenierungsteam war die Arbeit an diesem Stück mit vielen Fragen verbunden. Darf – oder kann man das: eine solche Fluchtgeschichte auf der Bühne darstellen? Ohne wirklich zu verstehen, was diese Erfahrungen für Menschen bedeuten? Ohne nur die eigenen Stereotypen auf das fremde Leben zu projizieren? Wie vermeiden wir, dass eine falsche Betroffenheit entsteht, die sich am eigenen Mitgefühl berauscht? Oder dass die Fluchtgeschichte wie eine spannende Abenteuerstory wirkt?
Regisseurin Esther Hattenbach hat sich entschlossen, diese Fragen und Überlegungen nicht zu verstecken und zu überspielen, sondern zu einem Bestandteil ihres Inszenierungsansatzes zu machen: „Der Grundgedanke war, verschiedene Ebenen der Begegnung zu ermöglichen. Die Schauspielerin begegnet der Figur. Durch das Nachsprechen des Textes wird sie zu Haifa, aber sie bleibt doch immer auch die Person, die sich dieser Geschichte angenommen hat. Auf diese Weise begegnet die Figur dem Publikum. Deswegen haben wir eine Bühnensituation geschaffen, die eine solche Begegnung auch zulässt, wo also das Publikum nicht unten sitzt und die Schauspieler oben spielen, sondern sich alle auf Augenhöhe in einem Raum befinden. Es gibt außerdem einen Musiker auf der Bühne, der mit seiner Musik live auf den Text reagiert. Und daneben bilden drei weitere Schauspieler einen Chor, der ebenfalls in Interaktion mit dem Text tritt und sich ins Verhältnis zu Haifa setzt. Der Versuch der Begegnung ist also das strukturgebende Grundelement dieser Inszenierung.“
Christopher Hanf