Exkurs: Melancholie - eine positive Traurigkeit?

„Wie geht es dir?“ Diese sehr häufig gestellte Frage wird oft mit einem kurzen „Danke, gut!“ erwidert, auch wenn diese Antwort bei weitem nicht immer der Wahrheit entspricht. Doch warum reagieren dann unzählige Leute so? Viele Menschen tragen ständig kleine Sorgen mit sich herum. Hinzu kommen vielleicht Stress, Ärger in der Familie oder auf der Arbeit und andere Faktoren, die ein positives Bild schnell ins Negative umwandeln. Dabei ist es durchaus nicht unnormal, sich auch einmal so richtig schwermütig zu fühlen. Bereits Kleinigkeiten können dann schon dazu führen, dass Tränen fließen. Man hat auf Gespräche mit Freunden oder Bekannten keine Lust, zieht sich zurück und beginnt, damit allein in seiner eigenen Welt zu leben. Trübsinn und Traurigkeit lösen eine frühere Fröhlichkeit ab. Auf diese Weise kann im besseren Fall eine Melancholie, früher oder später aber auch eine mehr oder weniger handfeste Depression entstehen. [11]

Dabei ist „Melancholie“ zunächst einmal nichts Negatives, sondern genauso ein Teil von uns wie Freude, Trauer, Lebensenergie, Langeweile oder Ekstase. Sie ist also eine ganz natürliche Grundstimmung – und keineswegs betrifft sie nur die Erwachsenen! Bereits Kinder und Babys haben ihre melancholischen Momente – und sogar Haustiere durchleben solche Phasen. Doch was genau unterscheidet die Melancholie von der Depression? Der zeitliche Faktor spielt hier eine bedeutende Rolle: Meist verschwindet die Melancholie genauso leise und spurlos wieder, wie sie aufgetaucht ist. Dies kann innerhalb von Minuten, Stunden oder Tagen sein. Auf keinen Fall hält sie jedoch über einen längeren Zeitraum an. Ein Hinweis, dass die ausgeprägte Melancholie doch eher eine behandlungsbedürftige Depression darstellt, ist die Tiefe der Schwermut. Menschen, die lange unter ihrer Schwermut leiden, die Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit empfinden, gar an Selbstmord denken, benötigen therapeutische Hilfe. [12]

Melancholie selbst muss aber – im Gegensatz zur Depression – nicht immer behandelt werden. In vielen Fällen reicht es aus, auf die eigene innere Stimme oder Intuition zu hören. Bereits ein kurzzeitiger Rückzug in sich selbst ermöglicht eine klare Sicht auf viele Dinge und verschafft eine bewusste Wahrnehmung der eigenen Empfindungen und die der anderen. Melancholische Menschen können somit selbst von ihrem vorübergehenden Trübsinn profitieren. Phasen von Traurigkeit, Trübsinn und Kummer schaffen Raum für Neues und man lernt, die kleinen und großen Probleme des eigenen Lebens zu verstehen. Melancholische Phasen können dazu beitragen, wieder einen Gang zurückzuschalten und das Leben still zu genießen, denn die freie Zeit eignet sich zur Ruhefindung und Gelassenheit. Vielleicht kann sie sogar dazu dienen, etwas Neues zu beginnen oder etwas aus der Vergangenheit wieder zu beleben. Melancholie trägt zu dem Bedürfnis bei, Gedanken und Gefühle auszudrücken. Sie schafft Ausgleich und Entspannung und versteht sich als Phase voller Kreativität, Frieden, Stille und Harmonie. Wie viele Gedichte und Bücher wären nicht geschrieben worden, wie viele Gemälde nicht gemalt und wie viele wunderschöne sanfte Melodien wären nicht geschrieben worden, hätten unzählige Künstler ihre Melancholie nicht vollständig zugelassen und in kreative Energie umgewandelt!

Doch leider hat die heutige Gesellschaft für solche Zustände oft kaum Raum oder Verständnis mehr. Der Blick in unsere Medienlandschaft zeigt, dass hauptsächlich gute Laune und Unterhaltung gefragt sind. Auch wenn damit oft Oberflächlichkeit und Banalität einhergehen. Melancholische Menschen, die sich nicht amüsieren lassen, sondern ihren eigenen Gedanken nachgehen wollen, scheinen da oft fehl am Platze zu sein. Ihr Zustand scheint nicht zeitgemäß oder wird sogar als unnormal wahrgenommen. Hinzu kommt die gesellschaftliche Auffassung, dass ein solcher Zustand vielleicht bekämpft werden muss. Es entstehen Ratschläge von allen Seiten. Verwandte und Bekannte beginnen mit Aufmunterungen und Motivationsversuchen. Die melancholisch anmutende Traurigkeit muss – egal was passiert – durch Fröhlichkeit ersetzt werden. Eine negative, schlechte Stimmung scheint einfach nicht mehr in unser Weltbild zu passen. [11] Doch gerade die Fähigkeit, Traurigkeit und Kummer wieder zuzulassen, sich wieder Zeit für sich und seine Gefühle zu nehmen und auf die Frage „Wie geht es dir?“ mit mehr als nur zwei Wörtern zu antworten, würde der Schnelllebigkeit unserer Zeit entgegenwirken und vielleicht auch wieder etwas mehr Ruhe und Tiefe in sie hineinbringen.
Gans: „So ein Tod würde viele meiner Probleme lösen – besonders die existenziellen.“
Die melancholische Gans 
Die Gans im Theaterstück leidet sehr unter ihrer Traurigkeit. Sie glaubt eine Depression zu haben. Sie fühlt sich allein, möchte nichts mehr essen und beschließt sogar (sehr theatralisch), sterben zu wollen, bzw. sich fressen zu lassen. Allerdings hat die Gans auch ein paar Eigen-schaften, die gegen eine Depression sprechen. Sie ist zunächst sehr kontaktfreudig und geht nicht nur mutig auf den Fuchs, sondern auch auf alle anderen Tiere im Wald, zu. Sie ist sehr gesprächig und sucht den Austausch mit anderen, um einen eigenen neuen Lebenssinn zu finden. Sie ist außerdem sehr kreativ, schreibt Gedichte und ist sogar in der Lage, mit ihrer Naivität eine ernste Bedrohung in eine spielerische Situation umzuwandeln. Am Ende ist selbst ihr Todeswunsch einer Lebenslust gewichen. All dies spricht dafür, dass die Gans keine wirkliche Depression hatte, sondern nur ihre Melancholie auslebte und damit nicht nur viel über sich und die Welt gelernt hat, sondern sogar „das Herz“ des Fuchses gewinnen konnte.
Quelle
11: https://www.angst-verstehen.de/melancholie-melancholisch/Quelle
12: https://www.wissen.de/melancholie-die-positive-traurigkeit/page/0/2