Theater ohne Fußabdruck
Ausstatterin Henriette Hübschmann über Thomas Köcks Stück "eure paläste sind leer (all we ever wanted)" und die Anforderungen an eine klimaneutrale Theaterproduktion
Am 17. Mai wird mit dem Stück „eure paläste sind leer (all we ever wanted)“ von Thomas Köck erstmals eine klimaneutrale Theaterproduktion in der Reithalle gezeigt. Von der ersten Konzeptidee bis hinein in die Werkstätten erprobt das Team, wie nachhaltiges Arbeiten am Theater aussehen kann. Die Bühnen- und Kostümbildnerin Henriette Hübschmann erzählt, wie das ihren Arbeitsprozess verändert.
Was war dein erster Impuls bei der Anfrage, ob du eine klimaneutrale Produktion in Potsdam machen willst?
Henriette Hübschmann: Mein erster Impuls war: Endlich ein kurzer Arbeitsweg von Berlin aus! Es ist für mich als Selbständige und Berlinerin ein großes Privileg, während der Proben zu Hause sein zu dürfen. Davon abgesehen hatte und habe ich Respekt vor dieser Aufgabe. Ich gebe zu, dass ich auch Zweifel hatte, ob man Kunst und Nachhaltigkeit wirklich vereinen kann.
Und – kann man?
Hübschmann: Man wird bei jeder Produktion vor andere Herausforderungen gestellt. Für mich sind es in unserem Fall die Kostüme. Ich verbringe normalerweise sehr viel Zeit mit Entwürfen bis ins letzte Detail, um dann an ihrer Umsetzung zu arbeiten. Für dieses Stück musste ich viel flexibler sein. Für die Produktion wurden im Vorfeld bestimmte Rahmenbedingungen festgelegt, mit denen ihr arbeiten musstet. So soll z. B. das Kostümbild hauptsächlich mit Teilen aus dem Fundus kreiert werden, die Bühne soll zu mindestens 50 Prozent aus recycelten Elementen bestehen und möglichst wenig Lagerfläche und Transporte brauchen.
Wie ging es dir mit diesen Bedingungen beim Konzipieren?
Hübschmann: Der Prozess war für mich sehr anders als sonst. Ich folge normalerweise vor allem meinen inneren Bildern und entwickle eine Vision für mich. Der Fantasie ganz freien Lauf zu lassen – das war hier natürlich nicht möglich. Eine Vision musste es zwar trotzdem geben, aber auch eine große Offenheit den vorhandenen Materialien und Funduskostümen gegenüber.
Wie hat sich das auf deine künstlerische Arbeit ausgewirkt?
Hübschmann: Wir hatten einen viel längeren Vorlauf als sonst, und das war sehr wichtig für das Projekt. Er hat vor allem dazu geführt, dass man noch mehr als sonst im Austausch mit den Kolleg*innen des Theaters war, um die Lösungsansätze auf Nachhaltigkeit hin zu prüfen. Das erforderte eine enge Zusammenarbeit und viel Kommunikation. Und die Erkenntnis, dass die Lösung, die man für die nachhaltigste halten würde, in der Praxis nicht immer die nachhaltigste ist. Es waren viele Faktoren zu berücksichtigen.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Hübschmann: Ich habe mich für das Kostümbild mit veganem Leder beschäftigt und war erstaunt, wie wenig umweltfreundlich es letztlich ist. Es gibt zum Beispiel Ananas- und Kaktusleder, und man möchte meinen, beides sei sehr nachhaltig. Doch vegane Leder benötigen eine Kunststoffbeschichtung (z. B. mit erdölbasiertem Polyurethan), um haltbar gemacht zu werden. PU-Leder sind nicht biologisch abbaubar. Dazu kommt, dass sich die Ananasplantagen auf den Philippinen befinden und die Kakteen in Mexiko stehen. Die langen Transportwege und die
damit verbundenen Emissionen darf man nicht einfach außer Acht lassen.
Wie kam dir die Idee zum Bühnenbild?
Hübschmann: Der Regisseur Moritz Peters und ich haben uns angeschaut, was es im Haus bereits gibt, und so hat sich schnell ein Material gefunden, das uns begleitet und den gesamten Aushang der Bühne ausmachen wird: eine milchige Folie, hinter der alles nur schemenhaft erscheint. Die Bühne war für uns von Anfang an ein Erinnerungsraum, eine „gestaltete Leere“. Im Verlauf der Arbeit hat der Raum dann auch noch einen sehr sakralen Charakter bekommen. Es ist eine Art von Nicht-Ort, an dem doch etwas zum Ausdruck kommt: die Sehnsucht nach Erlösung. Und zu guter Letzt ist es ein Raum, der den Strike-back der Natur zeigen soll. Dieses Naturelement erwarten wir mit größter Spannung, denn es wird sich um echte, lebende Pflanzen in hoffentlich sehr großem Ausmaß handeln …
Für dieses Bühnenelement kooperiert das Theater mit der Biosphäre Potsdam, bei der die Pflanzen aufgezogen und zwischen den Vorstellungen gepflegt werden. Warum sollten es echte Pflanzen sein?
Hübschmann: Die Folie, mit der wir die Bühne auskleiden, ist ganz offensichtlich künstlich und menschengemacht. Dem möchten wir etwas Natürliches entgegensetzen. Echte Pflanzen, die sich ihren Weg suchen und Menschengemachtes zerstören – das ist ein zweischneidiges Schwert. Es zerstört aus menschlicher Sicht etwas in unserer Welt, und gleichzeitig ist es gut und richtig, dass die Natur sich ihren Weg bahnt. Und dem Menschen wohnt natürlich auch immer diese Sehnsucht inne, zur Natur zurückzukehren.
Das Stück verbindet motivisch verschiedene Szenarien, die sich u. a. mit Kolonialismus und kapitalistischer Ausbeutung beschäftigen. Was für Figuren begegnen uns?
Hübschmann: Sie sind im wahrsten Sinne nicht ganz bei sich. Entweder, weil sie von Gier zerfressen nach einem Eldorado suchen, weil sie nicht von einer Droge loskommen oder vollkommen verloren in einer Nicht-Zeit durch einen verlassenen Palast streifen. Sie lassen Vergangenes Revue passieren, sie suchen nach Antworten, sie suchen nach Schuld und – vor allem – nach Erlösung.
Eignet sich dieses Stück besonders gut, um klimaneutrales Arbeiten zu erproben?
Hübschmann: Im Grunde schon. Gerade wenn es um die Schuld geht, die wir auf uns geladen haben, es mit dem menschengemachten Klimawandel so weit kommen zu lassen. Die Frage, was im worst case passieren könnte, beschäftigt viele von uns heute sehr. Ich würde behaupten, die Vision einer Apokalypse scheint uns nicht mehr fern.
Wenn du eine Prognose wagen würdest: Was braucht es aus deiner jetzigen Erfahrung für ein nachhaltiger aufgestelltes Theater?
Hübschmann: In erster Linie das gemeinsame Bewusstsein und eine gute Kommunikation untereinander. Ich persönlich finde aber auch, dass es ein Abwägen darüber geben darf, wann das kreative Arbeiten zu stark eingeschränkt wird. Wie streng und allumfassend ein Theater nachhaltig aufgestellt sein möchte und wie viele Vorgaben gemacht werden, wird selbstverständlich jedes Theater anders für sich beantworten.
Interview: Sina Katharina Flubacher
erschienen in ZUGABE 02-2024
Was war dein erster Impuls bei der Anfrage, ob du eine klimaneutrale Produktion in Potsdam machen willst?
Henriette Hübschmann: Mein erster Impuls war: Endlich ein kurzer Arbeitsweg von Berlin aus! Es ist für mich als Selbständige und Berlinerin ein großes Privileg, während der Proben zu Hause sein zu dürfen. Davon abgesehen hatte und habe ich Respekt vor dieser Aufgabe. Ich gebe zu, dass ich auch Zweifel hatte, ob man Kunst und Nachhaltigkeit wirklich vereinen kann.
Und – kann man?
Hübschmann: Man wird bei jeder Produktion vor andere Herausforderungen gestellt. Für mich sind es in unserem Fall die Kostüme. Ich verbringe normalerweise sehr viel Zeit mit Entwürfen bis ins letzte Detail, um dann an ihrer Umsetzung zu arbeiten. Für dieses Stück musste ich viel flexibler sein. Für die Produktion wurden im Vorfeld bestimmte Rahmenbedingungen festgelegt, mit denen ihr arbeiten musstet. So soll z. B. das Kostümbild hauptsächlich mit Teilen aus dem Fundus kreiert werden, die Bühne soll zu mindestens 50 Prozent aus recycelten Elementen bestehen und möglichst wenig Lagerfläche und Transporte brauchen.
Wie ging es dir mit diesen Bedingungen beim Konzipieren?
Hübschmann: Der Prozess war für mich sehr anders als sonst. Ich folge normalerweise vor allem meinen inneren Bildern und entwickle eine Vision für mich. Der Fantasie ganz freien Lauf zu lassen – das war hier natürlich nicht möglich. Eine Vision musste es zwar trotzdem geben, aber auch eine große Offenheit den vorhandenen Materialien und Funduskostümen gegenüber.
Wie hat sich das auf deine künstlerische Arbeit ausgewirkt?
Hübschmann: Wir hatten einen viel längeren Vorlauf als sonst, und das war sehr wichtig für das Projekt. Er hat vor allem dazu geführt, dass man noch mehr als sonst im Austausch mit den Kolleg*innen des Theaters war, um die Lösungsansätze auf Nachhaltigkeit hin zu prüfen. Das erforderte eine enge Zusammenarbeit und viel Kommunikation. Und die Erkenntnis, dass die Lösung, die man für die nachhaltigste halten würde, in der Praxis nicht immer die nachhaltigste ist. Es waren viele Faktoren zu berücksichtigen.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Hübschmann: Ich habe mich für das Kostümbild mit veganem Leder beschäftigt und war erstaunt, wie wenig umweltfreundlich es letztlich ist. Es gibt zum Beispiel Ananas- und Kaktusleder, und man möchte meinen, beides sei sehr nachhaltig. Doch vegane Leder benötigen eine Kunststoffbeschichtung (z. B. mit erdölbasiertem Polyurethan), um haltbar gemacht zu werden. PU-Leder sind nicht biologisch abbaubar. Dazu kommt, dass sich die Ananasplantagen auf den Philippinen befinden und die Kakteen in Mexiko stehen. Die langen Transportwege und die
damit verbundenen Emissionen darf man nicht einfach außer Acht lassen.
Wie kam dir die Idee zum Bühnenbild?
Hübschmann: Der Regisseur Moritz Peters und ich haben uns angeschaut, was es im Haus bereits gibt, und so hat sich schnell ein Material gefunden, das uns begleitet und den gesamten Aushang der Bühne ausmachen wird: eine milchige Folie, hinter der alles nur schemenhaft erscheint. Die Bühne war für uns von Anfang an ein Erinnerungsraum, eine „gestaltete Leere“. Im Verlauf der Arbeit hat der Raum dann auch noch einen sehr sakralen Charakter bekommen. Es ist eine Art von Nicht-Ort, an dem doch etwas zum Ausdruck kommt: die Sehnsucht nach Erlösung. Und zu guter Letzt ist es ein Raum, der den Strike-back der Natur zeigen soll. Dieses Naturelement erwarten wir mit größter Spannung, denn es wird sich um echte, lebende Pflanzen in hoffentlich sehr großem Ausmaß handeln …
Für dieses Bühnenelement kooperiert das Theater mit der Biosphäre Potsdam, bei der die Pflanzen aufgezogen und zwischen den Vorstellungen gepflegt werden. Warum sollten es echte Pflanzen sein?
Hübschmann: Die Folie, mit der wir die Bühne auskleiden, ist ganz offensichtlich künstlich und menschengemacht. Dem möchten wir etwas Natürliches entgegensetzen. Echte Pflanzen, die sich ihren Weg suchen und Menschengemachtes zerstören – das ist ein zweischneidiges Schwert. Es zerstört aus menschlicher Sicht etwas in unserer Welt, und gleichzeitig ist es gut und richtig, dass die Natur sich ihren Weg bahnt. Und dem Menschen wohnt natürlich auch immer diese Sehnsucht inne, zur Natur zurückzukehren.
Das Stück verbindet motivisch verschiedene Szenarien, die sich u. a. mit Kolonialismus und kapitalistischer Ausbeutung beschäftigen. Was für Figuren begegnen uns?
Hübschmann: Sie sind im wahrsten Sinne nicht ganz bei sich. Entweder, weil sie von Gier zerfressen nach einem Eldorado suchen, weil sie nicht von einer Droge loskommen oder vollkommen verloren in einer Nicht-Zeit durch einen verlassenen Palast streifen. Sie lassen Vergangenes Revue passieren, sie suchen nach Antworten, sie suchen nach Schuld und – vor allem – nach Erlösung.
Eignet sich dieses Stück besonders gut, um klimaneutrales Arbeiten zu erproben?
Hübschmann: Im Grunde schon. Gerade wenn es um die Schuld geht, die wir auf uns geladen haben, es mit dem menschengemachten Klimawandel so weit kommen zu lassen. Die Frage, was im worst case passieren könnte, beschäftigt viele von uns heute sehr. Ich würde behaupten, die Vision einer Apokalypse scheint uns nicht mehr fern.
Wenn du eine Prognose wagen würdest: Was braucht es aus deiner jetzigen Erfahrung für ein nachhaltiger aufgestelltes Theater?
Hübschmann: In erster Linie das gemeinsame Bewusstsein und eine gute Kommunikation untereinander. Ich persönlich finde aber auch, dass es ein Abwägen darüber geben darf, wann das kreative Arbeiten zu stark eingeschränkt wird. Wie streng und allumfassend ein Theater nachhaltig aufgestellt sein möchte und wie viele Vorgaben gemacht werden, wird selbstverständlich jedes Theater anders für sich beantworten.
Interview: Sina Katharina Flubacher
erschienen in ZUGABE 02-2024