Warum hören sie nicht auf?

In "Das Imperium des Schönen" spielen Arne Lenk und Laura Maria Hänsel zwei Figuren, die sich auf einer familiären Urlaubsreise nach Japan in die Haare kriegen und doch nicht voneinander lassen können. Hier erzählen beide, wie sie sich ihren Rollen annähern.
„Das Imperium des Schönen“ von Nis-Momme Stockmann handelt von zwischenmenschlichen Konflikten, vom Wunsch nach Anerkennung und Liebe, aber auch nach Unabhängigkeit und von gegenseitigem Misstrauen. Die Brüder Falk und Matze sind mit ihren Familien in einer kleinen Ferienwohnung in Tokio angekommen. Da Matzes neue Freundin Maja nicht bereit ist, Falks Ego zu huldigen, gerät das seit Jahren einstudierte Familienspiel ins Wanken. Das Bühnenbild von Dorit Lievenbrück lässt die Figuren auf wenigen Quadratmetern miteinander ringen. In der Regie von Bettina Jahnke arbeitet das Ensemble die verschiedenen Schichten und Interpretationen heraus, die unter jedem einzelnen Satz liegen. Nicht selten geht es dabei unfreiwillig komisch zu.

Arne Lenk über Falk

Wie nähert man sich einer fernen Kultur? Einer anderen Person, einem unbekannten Gefühl, grundsätzlich dem Fremden sowohl im Makrokosmos der Welt als auch im Mikrokosmos der Familie?

Oder einer Figur. Falk zum Beispiel. Ein Philosophieprofessor, dem ästhetische Konzepte der japanischen Kultur vertrauter zu sein scheinen als eine Bäckereifachverkäuferin aus Deutschland (die die Lebensgefährtin seines Bruders ist). Ein Mann, der seine Familie auf eine 15.000 Euro teure Japanreise mitnimmt, um ihr diese exotische Welt zu zeigen – und damit den Anspruch verbindet, dass sie diese auch mit seinen Augen wahrnehmen möge. Ein Patriarch und „Wohltäter“, dessen „Regime in einem klimatisierten Appartement mitten in Shibuya“ ins Wanken gerät, weil er es nicht schafft, seine Obsession mit der Fremden, der Neuen in der „Gruppe“, in den Griff zu kriegen. Maja und er verbeißen sich ineinander und können nicht voneinander lassen. Die Anlässe sind banal und nichtig. Warum hören sie nicht auf, einander zu provozieren, versöhnen sich oder lassen sich in Frieden? Woher kommt diese Intoleranz? Gibt es überhaupt ein Warum? Einen tieferen Sinn, eine Möglichkeit zur Interpretation? Oder führt uns der Autor hier an der durch die europäische Denktradition geprägten Nase herum?

Laura Maria Hänsel über Maja

Maja reicht‘s. Bloß, weil sie als Bäckereifachverkäuferin arbeitet, ist sie doch nicht bescheuert. Der Bruder ihres Freundes Matze hat sie auf eine teure Japanreise eingeladen. Sie war lange nicht sicher, ob sie zusagen soll, tat es dann aber doch und hat jetzt den Salat.

Der von ihr heimlich bewunderte Philosophieprofessor Falk lässt nämlich keine Gelegenheit aus, um ihr zu zeigen, für wie oberflächlich er sie hält. Seine Großzügigkeit endet beim Geld; als Gegenleistung soll sie ihn anbeten und ihm nach dem Mund reden.

Kann sie nicht einfach mal mit Matze in Ruhe von der straff durchgeplanten Reise abweichen und sich im Gedrängel der japanischen Straßen und Geschäfte verlieren? Aber auch um die Loyalität ihres Freundes steht es in Anwesenheit seines großen Bruders auf einmal nicht mehr zum Besten, und sie sieht sich den verbalen Attacken des kaum Älteren rettungslos ausgeliefert. Aber Maja wäre nicht Maja, wenn sie das auf sich sitzen lassen würde. Sie geht ihrerseits in die Offensive – und weiß noch nicht, dass danach nichts mehr sein wird wie zuvor.

veröffentlicht in der ZUGABE 03-2021