Lebe lieber ungewöhnlich

Sie liebt das Risiko und sucht auch im Theater nach dem Abgründigen. Da passt es ins Bild, dass die Schauspielerin Ulrike Beerbaum demnächst in Sibylle Bergs Stück „Viel gut essen“ zu sehen ist.
Das Ensemble von „Viel gut essen“ (3. von links: Ulrike Beerbaum)
Ulrike Beerbaum klettert gern. Die junge Schauspielerin, die mit Beginn der Spielzeit neu ins Ensemble des Hans Otto Theaters gekommen ist, kann sich dafür begeistern, beim Sportklettern („Bouldern“) an einer steilen Wand zu hängen und sich ihren Weg hinauf zu bahnen. Wenn es schwierig wird, dann findet sie das gerade gut.

Hindernisse zu überwinden, hat sie schon immer gereizt. Als junges Mädchen fiel es ihr keineswegs leicht, sich vor der Schulklasse zu äußern. Aber weil sie etwas zu sagen hatte und etwas sagen wollte, gelang es ihr, die eigene Schüchternheit zu überwinden. Ihre Lust, das Risiko zu suchen, hat vielleicht auch dazu beigetragen, dass sie schon im Alter von 16 Jahren Schauspielerin werden wollte. Als Schülerin fuhr sie jede Woche fast eine Stunde lang mit dem Bus von ihrem Heimatdorf nach Schwerin, um dort im Jungen Theaterclub mitzumachen. Sehr gern erinnert sie sich dabei an ein Projekt, für das sie den Fundus ihres Vaters, eines Orthopädiemechanikers, plünderte, um sich eine Körperchoreografie mit Bein- und Armprothesen auszudenken.

Die körperliche Dimension des Theaterspiels ist ihr bis heute wichtig. Ihr Lieblingsunterricht während des Schauspielstudiums an der Universität der Künste Berlin war der Bewegungskurs. Und auch im Blick auf ihr erstes Festengagement, das sie von 2010 bis 2016 ans Staatstheater Mainz führte, denkt sie gern an Rollen zurück, bei denen sie sich ihren Figuren über eine skurrile, absurde Körperlichkeit nähern konnte. Auch in klassischen und eher tragischen Rollen sucht sie nach Momenten der Komik und Groteske. Beerbaum interessiert sich dafür, das Verrückte,
Seltsame, Ungewöhnliche im Alltäglichen aufzuspüren.

So ist sie auch fasziniert von den Texten der Autorin Sibylle Berg, weil darin mit blitzender Ironie, scharfer Komik und einer Prise Sarkasmus gesellschaftspolitische Schieflagen und die Verzweiflung über die Einrichtung der Welt thematisiert werden. Sie freut sich sehr auf die Arbeit an Sibylle Bergs Stück „Viel gut essen“, das sie gemeinsam mit einem siebenköpfigen Ensemble auf die Bühne der Reithalle bringen wird. Darin geht es um einen ganz normalen Mann, dessen Ziel im Leben es war, seiner kleinen Familie Sicherheit und Geborgenheit zu bieten. Dann aber fällt seine ganze Existenz auseinander: Frau und Kind verlassen ihn, er verliert seinen Job. Er beginnt sich in seinem Umfeld fremd zu fühlen. Der Mann versteht die Welt nicht mehr und verwandelt sich in einen rechtspopulistischen Wutbürger.

Die Frustration des Mannes kann Ulrike Beerbaum teilweise nachvollziehen. Sein Problem sei, dass er sich in seiner Opferrolle einrichte und es versäume, über seine Ängste und Wünsche zu sprechen, die Kommunikation zu suchen, statt sich in seinem Hass zu vergraben. Leider fehlt ihm jede Selbstdistanz, leider kann er nicht über sich lachen. Das wiederum schildert Sibylle Berg auf komische Weise. Ulrike Beerbaum sieht der Kletterpartie durch diesen hochaktuellen Text gespannt entgegen, gilt es doch, das tragikomische Potenzial dieser Situation mit viel Körpereinsatz für das Theater zu entdecken.

Christopher Hanf
veröffentlicht in ZUGABE MAGAZIN 02-2018