Übergangsgesellschaft

Ein Gespräch zum Theater in der DDR vor und nach 1989 mit Rita Feldmeier, Ruth Reinecke, Jörg Schüttauf, Christine Mielitz und Stephan Märki
Szene aus „Der Revisor oder Katze aus dem Sack“ mit Eva Weißenborn, Jörg Schüttauf und Sabine Unger im Hans Otto Theater (Frühjahr 1989)
Foto: Jutta Oloff

„Inszenieren und spielen die hier in der DDR so gut, weil sie wissen, warum sie etwas spielen?“, fragte begeistert der  Schriftsteller Martin Walser nach der „Fidelio“-Premiere an der Dresdner Semperoper im Oktober 1989. Denn während drinnen Beethovens Befreiungsoper in der Inszenierung von Christine Mielitz lief, demonstrierten draußen die Menschen für Veränderungen im Land. Theater in der DDR bot eine kritische Ersatzöffentlichkeit. Werke von Heiner Müller, Christoph Hein und anderen Gegenwartsautoren übten künstlerische Kritik an den Verhältnissen im Staatssozialismus. Das führte zu Zensur und Auftrittsverbot. Als Ruth Reinecke im April 1988 in der Premiere von Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ am Maxim-Gorki-Theater auf der Bühne stand, wusste das Ensemble nicht, ob der Abend „politisch durchgehen“ würde. Jörg Schüttauf wiederum konnte im Stück „Der Revisor oder Katze aus dem Sack“ am Potsdamer Hans Otto Theater nur dreimal in der Titelrolle vor ausverkauftem Haus brillieren, bevor die Inszenierung im Mai 1989 aus politischen Gründen abgesetzt wurde. Als dann im Herbst 1989 die Massenproteste losbrachen, gehörten Theaterschaffende zu ihren Organisatoren. Wie am 4. November 1989 auf dem Ostberliner Alexanderplatz traten sie „von der Bühne auf die Straße“. Doch nach der ersten Euphorie war die Krise allumfassend: Angesichts von Publikumsschwund und Legitimationszwängen stellte sich die existenzielle Frage, ob Theaterspielen überhaupt einen Sinn hat, wenn die Ereignisse auf der Straße dramatischer erscheinen als auf der Bühne.

Gemeinsam mit Theaterschaffenden blickt der Abend zurück auf die brisante Rolle des Theaters in der DDR und dessen rasanten Funktionswandel nach 1989: Mit welchen Gewissheiten und Hoffnungen spielten und inszenierten Künstler*innen in der späten DDR - und wie haben sich die Motive und Bedingungen in 30 Jahren Transformation verändert? Welche Erneuerung erlebten seitdem Spielplangestaltung und Publikumsresonanz, wie veränderte sich generell der Stellenwert der Bühnen für die Gesellschaft? Lassen sich aus den historischen Erfahrungen Wünsche und Forderungen an das heutige Theater ableiten?

Eingeladen zum Gespräch sind die Schauspielerinnen Rita Feldmeier (Hans Otto Theater) und Ruth Reinecke (Maxim-Gorki-Theater Berlin), der Film- und Theaterschauspieler Jörg Schüttauf sowie die Regisseurin und Intendantin Christine Mielitz (Dresdner Staatsoper) und der ehemalige Intendant des Hans Otto Theaters, Stephan Märki. Jutta Braun vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung eröffnet den Abend mit einem Kurzvortrag, es moderiert ihr Kollege Peter Ulrich Weiß.

Eine Veranstaltung des Förderkreises des Hans Otto Theaters in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF)

Anmeldung unter foerderkreis@hansottotheater.de


Rita Feldmeier, 1954 in Rostock geboren, studierte an der Staatlichen Schauspielschule Rostock. Schon als Studentin spielte sie am Volkstheater Rostock, und es folgte dort nach Abschluss ihres Schauspielstudiums ein dreijähriges Engagement. 1976 wechselte sie ans Hans Otto Theater Potsdam, wo sie seitdem in zahlreichen Rollen zu erleben war und ist. Nebenbei hatte sie Gastengagements in Berlin, Dresden, Hamburg, Brandenburg an der Havel, Essen und Anklam. Dreharbeiten beim Fernsehen der DDR und der DEFA. Nach 1989 war Rita Feldmeier in verschiedenen Filmen und Fernsehserien zu erleben.

Ruth Reinecke, 1955 in Berlin geboren, erhielt nach der Schauspielausbildung an der heutigen Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch ihr erstes Engagement am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin bei Christoph Schroth. Seit 1979 ist sie Mitglied des Ensembles des Maxim-Gorki-Theaters. Hier stand sie 1988 in der spektakulären Erstaufführung von Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ auf der Bühne, in der die Stagnation der DDR-Gesellschaft porträtiert wurde. Sie bezeichnet sich „als eine Ensemble-Schauspielerin im besten Sinne“. Nach dem vielbeachteten Wechsel der Intendanz zu Shermin Langhoff und der künstlerischen Neuausrichtung des Theaters im Jahr 2013 blieb Ruth Reinecke als einziges Mitglied des Ensembles am Hause. Zudem arbeitete sie für Film und Fernsehen, so etwa in der populären Serie „Weißensee“, für die sie den Grimme-Preis 2016 erhielt. Die Berliner Zeitung verlieh ihr für ihr Theaterschaffen dreimal den Kritikerpreis. Sie arbeitet zudem mit Schauspielstudenten und liest Hörbücher ein.

Christine Mielitz, geboren 1949 in Chemnitz, absolvierte ein Studium der Opernregie an der Hochschule für Musik Hanns Eisler und war zunächst als Assistentin Harry Kupfers und später als Oberspielleiterin an der Semperoper Dresden tätig. Ihre legendäre Inszenierung von Beethovens Befreiungsoper "Fidelio", die am 7. Oktober 1989 Premiere feierte und künstlerisch das Aufbegehren in der DDR reflektierte, stand mehr als 20 Jahre auf dem Spielplan. Seit 1989 wirkte sie u. a. als Oberspielleiterin an der Komischen Oper Berlin und Intendantin des Südthüringischen Staatstheaters Meiningen. Seit 2002 war sie Operndirektorin und später Intendantin der Oper des Theaters Dortmund, wo sie 2008 die erste eigenständige Kinderoper Deutschlands eröffnete. Christine Mielitz inszeniert an Opernhäusern weltweit, u. a. in Wien, Hamburg, Essen, Zürich, Basel, Edinburgh, Toronto, Sydney, Tokio sowie bei den Salzburger Festspielen.


Jörg Schüttauf, geboren 1961 in Chemnitz, studierte bis 1986 an der Schauspielschule Leipzig. Im Anschluss erhielt er ein Engagement am Hans Otto Theater in Potsdam. Nach dem Ende der DDR konzentrierte er sich zunächst auf die Theaterarbeit, war aber bald auch häufig im Fernsehen zu sehen. Er übernahm die Titelrolle in der TV-Produktion „Lenz“ und wurde mit seinem ersten Grimme-Preis ausgezeichnet. In den 90ern spielte er in diversen TV-Formaten und erhielt zahlreiche Preise. Im Kino brillierte er in „Berlin is in Germany“. Der Verband der deutschen Filmkritik zeichnete ihn für diese Rolle als besten Hauptdarsteller aus. Von 2002-2010 verkörperte er 18 Mal den Kommissar Fritz Dellwo im Frankfurter „Tatort“. Für „Herzversagen“ wurde er 2005 mit dem Grimme-Preis und nochmals 2007 für das TV-Krimidrama „Arnies Welt“ geehrt. 2015 sah man in den Filmen „Der Staat gegen Fritz Bauer“, „Heimat ist kein Ort“ und zuletzt im ZDF-Dreiteiler „Der gleiche Himmel“ (2017). Für seine Rolle in „Vorwärts immer!“ (2017) erhielt er den Bayerischen Filmpreis als „Bester Darsteller“. 2018 sah man ihn in der vielgelobten ZDF-Serie „Bad Banks“ von Christian Schwochow, in Emily Atefs Drama „Macht euch keine Sorgen“, in Martina Pluras „13 Uhr mittags“ und in Florian Henckel von Donnersmarcks Oscar-nominierten „Werk ohne Autor“. Für seine hervorragenden Leistungen in „Vorwärts immer!“ erhielt der Schauspieler 2018 den „Deutscher Schauspielerpreis“ als „Bester Schauspieler in einer komödiantischen Rolle“. Aktuelle Projekte des Schauspielers sind Matti Geschonnecks Romanverfilmung „Unterleuten“ und der ZDF-Film „Experiment Ost“.