Abgesang auf die Liebe? Gedanken zum Stück
Das berühmte Triptychon „Der Garten der Lüste“ von Hieronymos Bosch zeigt eine vermeintlich erotisch total befreite Welt, in der die Menschenkinder munter miteinander kopulieren und sich ganz ihren sinnlichen Genüssen hingeben. Doch beim genaueren Hinsehen wirkt das Treiben mit seinen grotesken Verrenkungen ziemlich absurd, ja unheimlich. Und auf der rechten Seite des Triptychons wartet: die Hölle. Es liegt nahe, dass Sibylle Berg für ihr „Gärten“-Stück dieses Gemälde als Referenzrahmen mitschwingen lassen will. Denn es geht ja um: die Liebe, das angeblich höchste der Gefühle, das paradiesisches Glück verheißt, das aber auch direkt in die Hölle führen kann.
Eine weitere Folie für das Stück bildet die antike Komödie „Lysistrata“ von Aristophanes. Darin beschließen die gewitzten, starken Frauen von Athen das Ende des andauernden Krieges ihrer Männer zu erzwingen, indem sie in einen Sexstreik treten. Der zweite Teil dieser Geschichte weiblichen Empowerments, wie Sibylle Berg ihn karikiert, erscheint jedoch als bitter ironischer Nachhall auf Aristophanes. Denn der Rückzug der Männer aus dem Gebiet der Geschlechterliebe ist hier kein kluger, selbstbewusster Akt (wie einst bei den Frauen von Athen), sondern ein ziemlich kläglich-resignatives Verglimmen.
Außerdem kann man mindestens die Frage stellen, ob die von Sibylle Berg entworfene bizarre Alleinherrschaft der Frauen eine wirklich positive Utopie darstellt. Denn das Prinzip Machtausübung bleibt erhalten, nur unter veränderten Vorzeichen. Und die Männer – die Männer wurden (bzw. haben sich selbst) entsorgt. In dieser aseptischen, politisch vollkommen korrekten schönen neuen Welt scheint dann doch etwas zu fehlen: Das Gegenüber, das irritiert, das für das komplementär Andere steht. Und es beschleicht einen der Gedanke: Keine Männer ist auch keine Lösung. Der Philosoph Jean Baudrillard würde eine solche Zukunftsvision wohl als „das absolute Unglück“ betrachten. In seinem Essay „Transparenz des Bösen“ heißt es: „Wenn sich das Individuum nicht mehr dem Anderen aussetzt‚ dann begegnet es nur sich selbst. Der Andere als Blick, der Andere als Spiegel, der Andere in seiner Undurchdringlichkeit ist vorbei.“ So entstehe „nicht mehr die Hölle der Anderen, sondern die Hölle der Gleichen.“
Allerdings: Die patriarchal verseuchte alte Ordnung war erst recht nicht gut. Das demonstriert der Rundgang durch die verschiedenen Stationen beim Paarungsverhalten des Homo sapiens, zu dem Sibylle Berg das Publikum einlädt. Indem sie das Stück in einem mysteriös-schrägen Zukunfts-Setting spielen lässt, kann sie wie unter Laborbedingungen die Muster freilegen, die das menschliche Liebesleben (in seiner scheiternden Variante) ausmachen. So wird der Blick frei auf die männlichen und weiblichen Rollenbilder, die zu diesem Misslingen führen.
Der Dichter Max Frisch schreibt in seinen Tagebüchern, es sei das Ende der Liebe, wenn man sich vom anderen ein Bildnis mache. Dann wäre der „Mensch fertig für uns. Wir verweigern ihm den Anspruch alles Lebendigen, das unfassbar bleibt (…) Man macht sich ein Bildnis. Das ist das Lieblose, der Verrat.“ Möglicherweise liegt hier eine wesentliche Ursache für die Geschichte des Scheiterns, von der das Stück handelt: dass die Figuren gefangen, eingemauert, festzementiert sind in den Rollenbildern, die sie auf sich selbst und die anderen projizieren. Lysistrata und Bernd begegnen sich permanent im Modus des Vergleichens, des Bewertens, der Konkurrenz. Beide fühlen sich geradezu verpflichtet, das Optimale aus sich selbst und den sich bietenden Möglichkeiten herauszuholen. Das Gegenüber wird im Lichte der Verwertbarkeit betrachtet, den eigenen Marktwert gilt es zu steigern. Beide werden einander zum Objekt, zur Ware, zum Konsumartikel. Die Rollenbilder, die die Liebesversuche der eigentlich liebeswilligen Figuren korrumpieren, stammen also aus der Welt des Marktes, des Kapitalismus.
Sibylle Bergs zur Kenntlichkeit entstellte Figuren, in denen wir uns wie in einem Zerrspiegel wiedererkennen können, erzählen in einigen Passagen aber auch davon, was auf der Rückseite ihrer kapitalistisch gestählten Ego-Panzer liegt: Die Angst zu versagen, nicht anerkannt, sondern ausgelacht zu werden, die Angst vor der Einsamkeit, der eigenen Schwäche, die Angst vor dem Tod. Vielleicht ließe sich von hier aus eine Zweisamkeit aufbauen, die der eigentlich utopischen Bedeutung des Begriffes Liebe näherkäme. So heißt es an einer Stelle: „Und was alle vereinen könnte, ist die Ohnmacht.“
Christopher Hanf
Eine weitere Folie für das Stück bildet die antike Komödie „Lysistrata“ von Aristophanes. Darin beschließen die gewitzten, starken Frauen von Athen das Ende des andauernden Krieges ihrer Männer zu erzwingen, indem sie in einen Sexstreik treten. Der zweite Teil dieser Geschichte weiblichen Empowerments, wie Sibylle Berg ihn karikiert, erscheint jedoch als bitter ironischer Nachhall auf Aristophanes. Denn der Rückzug der Männer aus dem Gebiet der Geschlechterliebe ist hier kein kluger, selbstbewusster Akt (wie einst bei den Frauen von Athen), sondern ein ziemlich kläglich-resignatives Verglimmen.
Außerdem kann man mindestens die Frage stellen, ob die von Sibylle Berg entworfene bizarre Alleinherrschaft der Frauen eine wirklich positive Utopie darstellt. Denn das Prinzip Machtausübung bleibt erhalten, nur unter veränderten Vorzeichen. Und die Männer – die Männer wurden (bzw. haben sich selbst) entsorgt. In dieser aseptischen, politisch vollkommen korrekten schönen neuen Welt scheint dann doch etwas zu fehlen: Das Gegenüber, das irritiert, das für das komplementär Andere steht. Und es beschleicht einen der Gedanke: Keine Männer ist auch keine Lösung. Der Philosoph Jean Baudrillard würde eine solche Zukunftsvision wohl als „das absolute Unglück“ betrachten. In seinem Essay „Transparenz des Bösen“ heißt es: „Wenn sich das Individuum nicht mehr dem Anderen aussetzt‚ dann begegnet es nur sich selbst. Der Andere als Blick, der Andere als Spiegel, der Andere in seiner Undurchdringlichkeit ist vorbei.“ So entstehe „nicht mehr die Hölle der Anderen, sondern die Hölle der Gleichen.“
Allerdings: Die patriarchal verseuchte alte Ordnung war erst recht nicht gut. Das demonstriert der Rundgang durch die verschiedenen Stationen beim Paarungsverhalten des Homo sapiens, zu dem Sibylle Berg das Publikum einlädt. Indem sie das Stück in einem mysteriös-schrägen Zukunfts-Setting spielen lässt, kann sie wie unter Laborbedingungen die Muster freilegen, die das menschliche Liebesleben (in seiner scheiternden Variante) ausmachen. So wird der Blick frei auf die männlichen und weiblichen Rollenbilder, die zu diesem Misslingen führen.
Der Dichter Max Frisch schreibt in seinen Tagebüchern, es sei das Ende der Liebe, wenn man sich vom anderen ein Bildnis mache. Dann wäre der „Mensch fertig für uns. Wir verweigern ihm den Anspruch alles Lebendigen, das unfassbar bleibt (…) Man macht sich ein Bildnis. Das ist das Lieblose, der Verrat.“ Möglicherweise liegt hier eine wesentliche Ursache für die Geschichte des Scheiterns, von der das Stück handelt: dass die Figuren gefangen, eingemauert, festzementiert sind in den Rollenbildern, die sie auf sich selbst und die anderen projizieren. Lysistrata und Bernd begegnen sich permanent im Modus des Vergleichens, des Bewertens, der Konkurrenz. Beide fühlen sich geradezu verpflichtet, das Optimale aus sich selbst und den sich bietenden Möglichkeiten herauszuholen. Das Gegenüber wird im Lichte der Verwertbarkeit betrachtet, den eigenen Marktwert gilt es zu steigern. Beide werden einander zum Objekt, zur Ware, zum Konsumartikel. Die Rollenbilder, die die Liebesversuche der eigentlich liebeswilligen Figuren korrumpieren, stammen also aus der Welt des Marktes, des Kapitalismus.
Sibylle Bergs zur Kenntlichkeit entstellte Figuren, in denen wir uns wie in einem Zerrspiegel wiedererkennen können, erzählen in einigen Passagen aber auch davon, was auf der Rückseite ihrer kapitalistisch gestählten Ego-Panzer liegt: Die Angst zu versagen, nicht anerkannt, sondern ausgelacht zu werden, die Angst vor der Einsamkeit, der eigenen Schwäche, die Angst vor dem Tod. Vielleicht ließe sich von hier aus eine Zweisamkeit aufbauen, die der eigentlich utopischen Bedeutung des Begriffes Liebe näherkäme. So heißt es an einer Stelle: „Und was alle vereinen könnte, ist die Ohnmacht.“
Christopher Hanf
Theater als Möglichkeitsraum
Über die Regisseurin Anna-Elisabeth Frick
Anna Elisabeth Frick geht gern in den Zoo. Wenn sie dort stundenlang die Verhaltensweisen der Tiere beobachtet, fühlt sie sich seltsam berührt von dieser anderen Welt und zugleich inspiriert zu einer Art Perspektivverschiebung, die sie auch das menschliche Verhalten in einem neuen Licht sehen lässt. Auf Theaterproben kann es vorkommen, dass sie Schauspieler*innen bittet, mal auszuprobieren, ihre Figuren als Tier eigener Wahl anzulegen. Daraus entstehe oftmals eine interessante Körperlichkeit. Für die junge Regisseurin liegt in solchen Irritationen der gewohnten Denk- und Wahrnehmungsmuster das große Potential der Kunst: „Assoziativ zu denken, ungewöhnliche Bezüge herzustellen, Ebenen mit einander zu verknüpfen, die scheinbar nichts miteinander zu tun zu haben.“
Anna Elisabeth Frick, 1989 in Darmstadt geboren, als Kind einer Musikerfamilie aufgewachsen, mit sechs älteren Schwestern, die fast alle Profi-Musikerinnen im Bereich Klassik wurden, begann bereits im Alter von vier Jahren Geige zu spielen. Aber irgendwann wurde ihr diese Form der Kunstausübung zu eng. Nur das zu erfüllen, was ein Komponist vorgegeben hatte, entsprach nicht ihrer Begabung, nicht ihrem wirklichen Interesse. Da war es ein Moment der Befreiung, als sie das Theater für sich entdeckte: Als utopischen Raum, in dem ganz unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Begabungen, Geschichten und Visionen zusammenkommen und ausprobieren, was möglich ist. Und wo aus dem diesem Zusammenspiel etwas Unvorhergesehenes entstehen kann. Wo nicht alles rational auf den Punkt gebracht, sondern auch Unsagbares zum Ausdruck gebracht werden kann, bereichert durch die Elemente von Musik, Bildender Kunst und Tanz. In diesem Sinne ist Theater für Anna Frick immer auch Teamarbeit.
2016 beendete sie ihr Regiestudium und landete gleich einen großen Erfolg, als sie für ihre Inszenierung „Die Unerhörte“ mit dem renommierten Preis beim Körber Studio Junge Regie am Hamburger Thalia Theater ausgezeichnet wurde. Seitdem ist Anna Frick eine gefragte Regisseurin und deutschlandweit unterwegs. Gerade weil sie dabei immer wieder auf neue, zunächst fremde Leute trifft, ist ihr extrem wichtig, auf der Probe eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen: „Wir leben in einer kalten Welt, in der eine Einzelkämpfermentalität weit verbreitet ist. Dieser harten Wettbewerbslogik sollte sich das Theater entziehen. Und einen Möglichkeitsraum schaffen, in dem wir keine perfekten Posen präsentieren müssen, sondern auch von unseren verletzlichen Seiten, von unseren Träumen, Sehnsüchten, Ängsten und von unserem Scheitern erzählen können“, so Frick.
Das heißt aber keinesfalls, dass sie Proben als kuschelige Wohlfühloasen verstehen will. Ganz im Gegenteil. Denn sehr gut kann sie sich auch mit dem Adorno-Zitat „Begabung ist vielleicht überhaupt nichts anderes als glücklich sublimierte Wut“ identifizieren. Angesichts des Elends in der Welt, der himmelschreienden Ungerechtigkeit überall, ist Theater für Frick auch ein Ventil, um ihrem Zorn über diese Missstände Ausdruck zu verleihen. Dabei geht es ihr aber nicht um Agitation oder eindeutige Botschaften, um simple Zuordnungen von Gut und Böse. Vielmehr sucht sie nach Momenten, in denen sie von der Widersprüchlichkeit des Lebens erzählen kann. Nach Momenten, die solche Fragen aufwerfen, die sie vorher noch nicht im Sinn hatte. Deshalb schätzt sie auch die Arbeit an Sibylle Bergs Stück „In den Gärten oder Lysistrata Teil 2“, weil darin in einem aberwitzigen Gedankenexperiment alle scheinbar politisch korrekten Standpunkte zum Thema Geschlechteridentität auf die Spitze getrieben und mit einer ziemlich bösen Komik durchgerüttelt, aufgebrochen und damit fragwürdig würden.
Christopher Hanf
Anna Elisabeth Frick, 1989 in Darmstadt geboren, als Kind einer Musikerfamilie aufgewachsen, mit sechs älteren Schwestern, die fast alle Profi-Musikerinnen im Bereich Klassik wurden, begann bereits im Alter von vier Jahren Geige zu spielen. Aber irgendwann wurde ihr diese Form der Kunstausübung zu eng. Nur das zu erfüllen, was ein Komponist vorgegeben hatte, entsprach nicht ihrer Begabung, nicht ihrem wirklichen Interesse. Da war es ein Moment der Befreiung, als sie das Theater für sich entdeckte: Als utopischen Raum, in dem ganz unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Begabungen, Geschichten und Visionen zusammenkommen und ausprobieren, was möglich ist. Und wo aus dem diesem Zusammenspiel etwas Unvorhergesehenes entstehen kann. Wo nicht alles rational auf den Punkt gebracht, sondern auch Unsagbares zum Ausdruck gebracht werden kann, bereichert durch die Elemente von Musik, Bildender Kunst und Tanz. In diesem Sinne ist Theater für Anna Frick immer auch Teamarbeit.
2016 beendete sie ihr Regiestudium und landete gleich einen großen Erfolg, als sie für ihre Inszenierung „Die Unerhörte“ mit dem renommierten Preis beim Körber Studio Junge Regie am Hamburger Thalia Theater ausgezeichnet wurde. Seitdem ist Anna Frick eine gefragte Regisseurin und deutschlandweit unterwegs. Gerade weil sie dabei immer wieder auf neue, zunächst fremde Leute trifft, ist ihr extrem wichtig, auf der Probe eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen: „Wir leben in einer kalten Welt, in der eine Einzelkämpfermentalität weit verbreitet ist. Dieser harten Wettbewerbslogik sollte sich das Theater entziehen. Und einen Möglichkeitsraum schaffen, in dem wir keine perfekten Posen präsentieren müssen, sondern auch von unseren verletzlichen Seiten, von unseren Träumen, Sehnsüchten, Ängsten und von unserem Scheitern erzählen können“, so Frick.
Das heißt aber keinesfalls, dass sie Proben als kuschelige Wohlfühloasen verstehen will. Ganz im Gegenteil. Denn sehr gut kann sie sich auch mit dem Adorno-Zitat „Begabung ist vielleicht überhaupt nichts anderes als glücklich sublimierte Wut“ identifizieren. Angesichts des Elends in der Welt, der himmelschreienden Ungerechtigkeit überall, ist Theater für Frick auch ein Ventil, um ihrem Zorn über diese Missstände Ausdruck zu verleihen. Dabei geht es ihr aber nicht um Agitation oder eindeutige Botschaften, um simple Zuordnungen von Gut und Böse. Vielmehr sucht sie nach Momenten, in denen sie von der Widersprüchlichkeit des Lebens erzählen kann. Nach Momenten, die solche Fragen aufwerfen, die sie vorher noch nicht im Sinn hatte. Deshalb schätzt sie auch die Arbeit an Sibylle Bergs Stück „In den Gärten oder Lysistrata Teil 2“, weil darin in einem aberwitzigen Gedankenexperiment alle scheinbar politisch korrekten Standpunkte zum Thema Geschlechteridentität auf die Spitze getrieben und mit einer ziemlich bösen Komik durchgerüttelt, aufgebrochen und damit fragwürdig würden.
Christopher Hanf