"Die Kultur sichtbar machen"

Die Potsdamer Künstlerin Annette Paul und Bettina Jahnke, Intendantin des Hans Otto Theaters, über das Netzwerk #kulturmachtpotsdam, eine neue Aufbruchstimmung in der städtischen Kulturszene und den Aktionstag am 13. März
Ein Jahr nach dem ersten Lockdown will die Potsdamer Kunst- und Kulturszene ein sichtbares Zeichen setzen: Über 150 Künstler*innen beteiligen sich am Samstag, 13. März, an einem digitalen Aktionstag, der vom Publikum als Livestream weitgehend im Netz erlebt werden kann. Ausgerichtet wird er vom Bündnis #kulturmachtpotsdam, das im Sommer 2020 von Potsdamer Kulturschaffenden gegründet wurde. Das unabhängige Netzwerk steht für eine solidarische Praxis und gemeinsames Handeln.

#kulturmachtpotsdam ist eine Kultur-Plattform, wie es sie bisher in Potsdam noch nicht gegeben hat. Was genau verbirgt sich dahinter?
Annette Paul: Es ist ein Zusammenschluss von Kulturinstitutionen der Stadt, aber auch einzelner Kulturschaffender und kleinerer Vereine, die in Zeiten der Pandemie sichtbar bleiben wollen. Gemeinsam kriegen sie eine laute Stimme. Diese nachhaltige Vernetzung wäre ohne Lock­down nie denkbar gewesen. Auch kleinere Initiativen finden hier Unter­stützung und können an den Ressourcen der großen Häuser teilhaben. An die 50 Menschen treffen sich wöchentlich in unterschiedlichen AGs und tragen mit viel Enthusiasmus zur gemeinsamen Sache bei.
Bettina Jahnke: Entstanden ist alles im ersten Lockdown. Wir haben uns zuerst auf der Schiffbauergasse getroffen: fabrik, T-Werk, Waschhaus, dann der Nikolaisaal. Und uns ausgetauscht: Hey, wie macht ihr das? Was können wir miteinander tun? Dann kam die Stadt mit ins Boot, das freiLand und das Rechenzentrum stießen hinzu. Es wurde immer größer. Im Sommer entstand die Idee zum Aktionstag am 13. März. Inzwischen sind wir mehr als 150 Künstler*innen, Kulturschaffende, Freiberufler*in­nen, Festangestellte, Initiativen, Verbände – eine bunte Mischung. Wir versuchen, diesem Lockdown etwas abzutrotzen. Die Botschaft lautet: Wir sind noch da!

Annette, du koordinierst die Vorbereitung des Aktionstages. Wie gehst du dabei vor?
Paul: Ich versuche, die vielen unterschiedlichen Vorschläge der Kultur­schaffenden mithilfe der AG-Entscheidungen zu bündeln. Am Ende wollen wir zu einem künstlerischen Ergebnis kommen, das wirklich alle repräsen­tiert und zusätzlich Raum für vielfältige Diskussionen und Meinungsbil­dung entstehen lässt.
Jahnke: Das ist ja das Besondere an diesem Netzwerk: Es gibt keine Struktur, keine Chefs, keinen Kopf, nicht mal Sprecher*innen. Das ist an­strengend und chaotisch, aber auch innovativ. Wir sind eine Schwarmintelligenz! Das ist eine ganz neue Arbeitserfahrung, die ich als sehr bereichernd und lehrreich empfinde.

Wie kommt das Hans Otto Theater eigentlich durch den neuerlichen Lockdown?
Jahnke: Nach wie vor dürfen wir unser Haus noch nicht für den Spiel­betrieb öffnen, was immer mehr schmerzt und traurig macht. Wir leiden unter einem Premieren- und Produktionsstau und hoffen, dass wir im April wieder loslegen können. Nach und nach fahren wir den Betrieb jetzt langsam hoch, die Arbeit in den Werkstätten wird wieder aufge­nommen, und unsere beiden Open-Air-Produktionen auf der Seebühne und im Gasometer werden vorbereitet. Ein Großteil der Kolleg*innen ist aber noch im Homeoffice und in Kurzarbeit.

Annette, du bist ja selbst freischaffende Künstlerin. Hast du dir für deinen neuen Job eine Auszeit genommen?
Paul: Ich habe mich aus der Arbeitslosigkeit heraus wieder selbststän­dig gemacht. Für mich war es interessant, diese Aufgabe im Netzwerk zu bekommen. Sie passt zu mir, weil ich mit Künstler*innen umgehen kann und Kontakte in alle Bereiche der Stadt habe. Zeit musste ich mir nicht extra freischaufeln, aber meine eigenen künstlerischen Ambitio­nen habe ich erstmal etwas zurückgestellt.

Am 13. März will die geballte Potsdamer Kultur mit einem Aktionstag an die Öffentlichkeit gehen. Was passiert alles an diesem Samstag?
Paul: Die Potsdamer*innen können auf mehrere digitale Programme zu­greifen. Es gibt drei Bühnenshows, die live gestreamt werden – aus dem sans titre, aus dem Hans Otto Theater und aus dem Nikolaisaal. Möglicherweise werden auch noch Installationen auf dem Alten Markt zu sehen sein. Dann gibt es noch den Be­reich „Spatial.chat“ im Rechenzentrum mit Videos und interaktiven Formaten.

Was ist das – der Spatial.chat?
Paul: Man trifft sich im Netz mit anderen Menschen, und zwar genau dort, wo man sich üblicherweise versammelt, bevor man in ein Theater oder Konzert geht – sagen wir, im „Foyer“. Dort kann man sich mit anderen von Rechner zu Rechner unterhalten, man sieht sich sogar – so ähnlich, wie wir das von Zoom-Konferenzen kennen. Allerdings bewegt man sich hier durch herrlich gestaltete Räume, und an allen Ecken und Enden taucht die Kultur auf. Überall gibt es Videos und Links, die zum Tanzen oder zu einer Vernissage einladen.

Die digitalen Shows in den drei Häusern sind das Herzstück des Ak­tionstages. Was wird das – ein „Kessel Buntes“ aus Potsdam?
Paul: Vielleicht (lacht). Die Häuser sind herausgefordert, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Denn es werden keine Programme sein, die auf eine Theaterbühne oder in einen Konzertsaal gehören, sondern es wird ein bunter Mix, der aber dramaturgisch gut durchdacht ist. Ein „Kessel Buntes“ wird es insofern, als es die Vielfalt der Potsdamer Kultur abbildet.
Jahnke: Wir haben heiß diskutiert, ob es eine Jury geben soll – und uns dann bewusst dagegen entschieden. Denn es geht ja gerade darum, die Kultur sichtbar zu machen und nicht eine Auswahl zu treffen, wer auftreten darf und wer nicht. Das ist für alle eine Überforderung, weil es wirklich sehr viel zu sehen gibt, aber genau diese Vielfalt ist Programm.


Annette, du hast auch selbst einen Auftritt – und zwar im Hans Otto Theater. Verrätst du uns, was du vorhast?
Paul: Ich werde eine Performance aufführen. Es geht um einen Brief­roman von Bettina von Arnim: „Dies Buch gehört dem König“. Darin zeigt sie die Missstände der Gesellschaft im 19. Jahrhundert auf. Manches davon ist hochaktuell. Ich möchte das in unsere Zeit übersetzen. Und ich bin wirklich froh, dass ich auf die große Bühne darf!

Ein zentraler Gedanke von #kulturmachtpotsdam ist der solidarische Umgang der Kulturschaffenden miteinander, denn nicht alle kommen schadlos durch die Krise. Wie spiegelt sich das im Programm und in der gemeinsamen Arbeit wider?
Jahnke: Wir machen keinen Unterschied zwischen Groß und Klein. Die großen Bühnen dieser Stadt öffnen ihre Pforten, der Nikolaisaal genau­so wie das Hans Otto Theater. Aber auch das sans titre ist als dritter Spielort für die Live-Shows dabei. Wir sind auf eine Durchmischung bedacht, auf Überraschungen. Unsere Schauspieler*innen treten nicht nur im Theater auf, sondern sie verteilen sich. Dafür stellen wir unsere Bühne freiberuflichen Künstler*innen zur Verfügung. Wir wollen die Viel­falt zeigen und uns gegenseitig unterstützen.
Paul: Gerade kleinere Gruppen können sehr davon profitieren. Die kom­men jetzt auf eine große Bühne, wo sie Ton und Licht haben. Großes Konzert! Großer Auftritt! Im Potsdam Museum wird Jutta Götzmann über die eingereichten Kunstwerke sprechen – auch das ist Ausdruck einer besonderen Wertschätzung.

Wie trägt das Hans Otto Theater darüber hinaus zum Gelingen des Aktionstages bei?
Jahnke: Indem wir unsere Manpower – oder besser: Frauenpow­er – sehr aktiv einbringen, zu viert in verschiedenen AGs mitarbeiten und das Programm maßgeblich mit entwickelt haben. Wir öffnen unser Haus, stellen unsere technische Mannschaft zur Verfügung, unterstützen die Werbung und übernehmen einen Teil der Finanzierung.

Wie wird der Aktionstag überhaupt finan­ziert?
Paul: Die Landeshauptstadt Potsdam hat 50.000 Euro dafür bereitgestellt. Die Mittel werden von der Bürgerstiftung verwaltet, darüber werden auch drei Honorarstellen finanziert. Aber der Löwenanteil – ca. 40.000 Euro – fließt direkt in die Kunst.
Jahnke: Wir können allen teilnehmenden soloselbstständigen Künst­ler*innen eine Aufwandsentschädigung von 150 Euro zahlen – mehr aus Respekt, nicht als Honorar.

Wie soll es nach dem 13. März weitergehen? Welche Perspektiven seht ihr für die Zeit nach der Pandemie?
Paul: Die größte Kraft haben wir, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen und sich keine*r vordrängelt. Wenn die institutionell geförderten Häuser und die soloselbstständigen Künstler*innen auf Augenhöhe mit­einander agieren. Das wird sich hoffentlich auch dann fortsetzen, wenn eines Tages die Pandemie vorbei ist und die Häuser wieder öffnen.
Jahnke: Was Annette und mich im Moment so motiviert und in dieser Corona-Zeit Sinn stiftet: Wir merken, wie kraftvoll wir sind, indem wir uns alle miteinander verbinden. Wir machen’s einfach. Machen im wahrsten Sinne des Wortes: Kultur Macht Potsdam – Potsdam macht Kultur! Und natürlich wollen wir auch als politische Kraft wahrgenom­men werden. Jemand wird am Ende die Rechnung bezahlen müssen, und dann dürfen keine Kürzungswellen auf die Kultur zurollen. Wir wer­den kulturpolitische Forderungen stellen und wollen als Kultur-Macht auch wahrgenommen werden.

Interview: Björn Achenbach

(vorab veröffentlicht aus: ZUGABE 01/21 - Magazin des Hans Otto Theaters, erscheint am 11. März als Beilage in MAZ und PNN)