Handlung

Clifford Bradshaw, ein junger Amerikaner, kommt Silvester 1929 nach Berlin. Seine Zugbekanntschaft mit Ernst Ludwig öffnet dem mittellosen Schriftsteller die Türen des Kit Kat Klubs und der Pension von Fräulein Schneider. Cliff lernt die Sängerin Sally Bowles kennen und kann sich ihrer Faszination nicht entziehen. Als Sally schwanger wird, will er Verantwortung übernehmen und an eine dauerhafte glückliche Beziehung mit Sally glauben, obwohl sie ihren Traum von einer Künstlerkarriere nicht aufgibt.

Auch die Pensionswirtin Fräulein Schneider glaubt an ein „spätes Glück“, denn sie und der jüdische Obsthändler Herr Schultz hegen seit langem mehr als nur freundschaftliche Gefühle füreinander. Bei ihrer Verlobungsfeier brechen jedoch gesellschaftliche Konflikte auf. Cliff erkennt in Ernst Ludwig einen überzeugten Nazi und geht auf Distanz. Aufgrund der politischen Veränderungen, die mit dem Erstarken der NSDAP einhergehen, sieht Cliff keine Zukunft mehr für ein Leben in Berlin.

Erfolgsgeschichte

Der britische Autor Christopher Isherwood verfasste in den 1930er Jahren seine autobiografischen Berlin Stories „Mr. Norris steigt um“ und „Leb wohl, Berlin“. Darauf beruht das Theaterstück „I am a Camera“ von John van Druten,1951 uraufgeführt in New York und 1955 verfilmt (1952 „Ich bin eine Kamera“ am Schlossparktheater Berlin). Auf diesen Quellen basiert das Musical „Cabaret“ von Joe Masteroff, John Kander und Fred Ebb, das am 20. November 1966 in der Produktion und Regie von Harold Prince am Broadhurst Theatre New York uraufgeführt wurde. Fräulein Schneider wurde von der Brecht-Weill-Interpretin Lotte Lenya gespielt. Der Geschichte von Fräulein Schneider und dem jüdischen Obsthändler Herrn Schultz kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Die Deutschsprachige Erstaufführung nach der Originalinszenierung fand 1970 am Theater an der Wien statt. Weltruhm erlangte das Musical schließlich durch die Verfilmung von Bob Fosse (1972) mit Liza Minelli, Joel Grey, Michel York, Helmut Griem, Fritz Wepper u. a. Der Film orientiert sich an Isherwood und zeichnet Cliff (im Film Brian) deutlich bisexuell, was das Musical 1966 nicht wagte, aber in den Neuproduktionen von 1987 und 1998 Einzug hielt. Die Songs „Maybe this time“, „Mein Herr“ und „Money, Money“ wurden für die Verfilmung komponiert und sind seitdem fester Bestandteil der meisten Musical-Inszenierungen. „I don’t care much“, 1966 für Liza Minelli komponiert, wurde 1987 für den Conférencier Joel Grey eingefügt.

John Kander und sein künstlerischer Partner Fred Ebb schrieben Songs wie „New York, New York“ und zahlreiche Broadwaymusicals wie „Chicago“ und „Kuss der Spinnenfrau“. Anlässlich der Deutschland-Tournee von „Chicago“ 2019 wurde der 92-jährige Komponist von der Welt dazu befragt, warum dieser Erfolg ungebrochen ist.

Kander: Eine beliebte These in New York ist, es könne daran liegen, dass die Korruption ein akutes Problem ist – aber ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der das anders gewesen wäre. Keine Ahnung also. Als „Chicago“ 1975 rauskam, fanden viele Kritiker es zu böse, und wenn ich es jetzt wiedersehe, finde ich, es ist nicht böse genug. Was glauben Sie?
Die Welt: Eine gute Frage. Wenn die Problemthese stimmt, hat „Cabaret“ ein großes Comeback vor sich, denn der Populismus, der Rassismus und Nationalismus schürt, erlebt ja gerade sein politisches Comeback.
Kander: Ich fürchte, Sie haben recht, und das macht mir wirklich Angst.

Faschismus. Eine Warnung

Somit machten sich die Nazis daran, ihre Basis zu verbreitern. Bereits 1929 verfügten sie über Tages- und Wochenzeitungen, und sie hatten eigene Parteiformationen für Jugendliche, Frauen, Lehrer, Rechtsanwälte und Ärzte. Um den Fanatismus seiner Anhänger anzustacheln, beschimpfte Hitler unablässig die Regierung, dass sie Kriegsreparationen zahle – in seinen Augen ein feiges Eingeständnis nationaler Schuld. Den Briten und Franzosen warf er vor, sie hätten sich verschworen, alles zu tun, damit Deutschland arm und schwach bleibe. Die führenden politischen Parteien beschuldigte er, sie würden die Nöte des gemeinen Volkes missachten. Und vor allem attackierte er die Kommunisten – eine Strategie, durch die er Freunde in der Finanzwelt gewann und die ihm eine vorteilhafte Berichterstattung in einigen der größten Zeitungen des Landes eintrug.

Doch als sich die Zwanzigerjahre ihrem turbulenten Ende entgegenneigten, waren die Nazis immer noch eine unbedeutende Partei. Mit dem plötzlichen Ausbruch der Weltwirtschaftskrise geriet Deutschland jedoch ins Straucheln. Die Repräsentanten der traditionellen politischen Parteien taten wenig, außer sich zu streiten, was den Reichstag lähmte. Daran änderte auch eine Reihe von Wahlen nichts. In dieser wuterfüllten Zeit fand ein wuterfüllter Mann, der zukünftige Führer, endlich sein Publikum. Als Deutschland wieder einmal am Boden lag, bot er sich als Megafon für dessen Elend an. Er drosch erneute auf die sogenannten Novemberverbrecher ein und verkündete, die Zeit sei gekommen für eine neue Generation furchtloser Deutscher, angeführt von einer Partei, die Deutschlands  Bestimmung erfüllen, das Volk erheben und seine Feinde zerschmettern werde.

Im September 1930 gingen die unzufriedenen Wähler wieder einmal und mit großen Unmut an die Urnen. Dieses Mal fiel das Ergebnis anders aus. Der Stimmenanteil für die Nazis stiegt stark an, und die Zahl der Reichsmandate erhöhte sich beträchtlich, nachdem Hitler vor allem bei Frauen, kleinen Geschäftsleuten, Bauern und jungen Wählern beeindruckende Gewinne erzielt hatte. Über Nacht war aus der neuntgrößten Partei die zweitgrößte geworden, hinter den Sozialdemokraten. Auch die Kommunisten schnitten gut ab, so dass die extremistischen Parteien die Bastionen der Demokratie von beiden Seiten bestürmten und die politische Mitte zu einer Insel schrumpfte, auf der sich nur noch gottesfürchtige Aristokraten und verunsicherte Liberale aufhielten.

 Madeleine Albright*

aus: Faschismus. Eine Warnung. Dumont. New York 2018 (S. 47-49)
*amerikanische Außenministerin von 1997 bis 2001 unter Präsident Clinton

Die Welt von gestern

Berlin verwandelte sich in das Babel der Welt. Bars, Rummelplätze und Schnapsbuden schossen auf wie die Pilze. Was wir in Österreich gesehen, erwies sich nur als mildes und schüchternes Vorspiel dieses Hexensabbats, denn die Deutschen brachten ihre ganze Vehemenz und Systematik in die Perversion. Den Kurfürstendamm entlang promenierten geschminkte Jungen mit künstlichen Taillen und nicht nur Professionelle; jeder Gymnasiast wollte sich etwas verdienen, und in den verdunkelten Bars sah man Staatssekretäre und hohe Finanzleute ohne Scham betrunkene Matrosen zärtlich hofieren. Selbst das Rom des Sueton hatte keine solchen Orgien gekannt wie die Berliner Transvestitenbälle, wo Hunderte von Männern in Frauenkleidern und Frauen in Männerkleidung unter den wohlwollenden Blicken der Polizei tanzten. Eine Art Irrsinn ergriff im Sturz aller Werte gerade die bürgerlichen, in ihrer Ordnung bisher unerschütterlichen Kreise. Die jungen Mädchen rühmten sich stolz, pervers zu sein; mit sechzehn Jahren noch der Jungfräulichkeit verdächtig zu sein, hätte damals in jeder Berliner Schule als Schmach gegolten, jede wollte ihre Abenteuer berichten können und je exotischer, desto besser.

Stefan Zweig

aus: Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers, Stockholm 1942

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Lebenslust am Abgrund

Die junge Berliner Sopranistin Maria-Danaé Bansen verkörpert die schillernde Nachtklub-Sängerin Sally Bowles im Musical "Cabaret".
Foto: Thomas M. Jauk
Zack, da ist sie! Maria-Danaé Bansen, 1,67 Meter groß, schlank, bräunlicher Teint, erscheint im Türrahmen. Lächelnd, in Jeans und T-Shirt, sympathisch, neugierig, offen. Eine „waschechte Berlinerin“, wie sie über sich selbst sagt – und zwar eine, die entschieden im Hier und Jetzt lebt. Nicht von ungefähr hat sie einen Dialog aus A. A. Milnes „Pu der Bär“ als Motto auf ihre Website gestellt: „Welchen Tag haben wir?“ fragte Pu. „Es ist heute“, antwortete Ferkel. „Mein Lieblingstag!“ sagte Pu. Man hört im Geiste die Stimme des unvergessenen Harry Rowohlt, der „Pu der Bär“ zu Lebzeiten auf sechs CDs eingesprochen hat, und ist beglückt.

Dann mal los, reden wir über „Cabaret“ – das Musical, in dem Maria-Danaé Bansen am Hans Otto Theater die Sally Bowles verkörpern wird. 1966 am Broadway herausgekommen, weltberühmt seit der Verfilmung mit Liza Minelli als Sally. Ein Klassiker des Genres, unterhaltsam, lebensprall und doch auch ahnungsvoll dunkel, ja fatalistisch. Es führt direkt hinein ins sündige Berlin der späten 20er, frühen 30er Jahre, ins brodelnde Nachtleben, das jegliche sexuellen Konventionen sprengte. Hier, im Kit Kat Klub, lernt der frisch eingetroffene amerikanische Schriftsteller Cliff das exzentrische Showgirl Sally kennen und lieben, bevor der aufkommende Faschismus der Romanze ein Ende bereitet. 

Diese Sally sei „sehr freiheitsliebend, selbstbewusst, selbstbestimmt, voller Lust am Leben“, wolle „nichts auslassen“, sei „risikofreudig und sehr im Moment“ – so sieht sie Maria-Danaé Bansen. Das hat sie mit ihr gemein, scheinbar mühelos identifiziert sie sich mit ihrer Rolle. Und warum auch nicht? Gilt das alles denn nicht ebenso für sie, Maria? „Ich finde die Zeit total spannend“, schwärmt Bansen und stellt sich vor, wie es wohl gewesen sein mag, sich damals im verruchten Berlin „neu als Frau fühlen, ausprobieren und entdecken“ zu können.

Darunter freilich schlummert die Tragik der Prostituierten, die davon träumt, eine erfolgreiche Künstlerin zu sein: „Sally lebt in einer Scheinwelt, damit sie nicht zugrunde geht.“ Dass sie in der Potsdamer Inszenierung von Bernd Mottl nicht von vornherein als Scheiternde gezeigt werde, sondern als Star des Cabarets, dem das Publikum zu Füßen liegt, gefällt Maria-Danaé Bansen. Schnell und anspruchsvoll sind die Songs, die sie singen wird. Kein Problem für Maria: „Ich bin schnell und sehr energetisch.“ Wie zum Beweis schnipst sie mit den Fingern oder klatscht mitten im Gespräch in die Hände. 

Neu für die 29-Jährige, die an der Universität der Künste „Musical / Show“ studierte, diverse Gesangspreise gewonnen und danach mehrere Musical-Engagements absolviert hat, ist die Ensemblearbeit mit den Kolleg*innen vom Hans Otto Theater. „Ich genieße es wahnsinnig, diese Chance zu haben!“ Das schließt den Respekt vor dem jeweils anderen Genre mit ein.

„Musical“, sagt Maria-Danaé Bansen, „bedeutet für mich die perfekte Verschmelzung der Ausdrucksformen Tanz, Gesang und Schauspiel.“ So weit, so gut, aber was liegt ihr denn nun am meisten? Die Antwort fällt diplomatisch und dabei ziemlich clever aus: „Je mehr Möglichkeiten du hast, desto reicher kannst du die Rolle spielen.“

Gut so. Denn Maria-Danaé Bansen hat alle Möglichkeiten.

Björn Achenbach

aus: ZUGABE Hans Otto Theater Magazin 04 - 2019

"Das Musical zu unserer Zeit"

Philipp Mauritz führt als Conférencier durch "Cabaret", Arne Lenk spielt den Cliff. Ein Interview in der Probenpause.
v.l. Arne Lenk, Philipp Mauritz / Fotos: Thomas M. Jauk
Als Schauspieler an einem Sprechtheater wird man nicht alle Tage in einem Musical besetzt. Habt ihr bereits Vorerfahrungen auf diesem Gebiet?
Philipp Mauritz: Für mich ist es nicht so neu. Ich habe immer wieder Musical und Operette gemacht: „My Fair Lady“, „Rocky Horror Show“, „High Society“ und „Die Fledermaus“.
Arne Lenk: Ich hab Musiktheater gemacht, „Black Rider“, und das „Weiße Rössl“, eine Operette. Und natürlich „Rio Reiser“! Das ist ja eigentlich auch ein Musical.

„Cabaret“ bedeutet erstmal: Showcharakter! Habt ihr eine Affinität zur leichten Muse?
Mauritz: Auf jeden Fall. „Cabaret“ kannte ich bisher gar nicht. Ich arbeite mich jetzt rein. Und weil du den Showcharakter erwähnst: Ich als Conférencier muss da natürlich sehr viel bieten. Ich habe fast nur Lieder, und der Choreograf veranstaltet einigen Zauber mit uns.

Bevor wir über das Stück reden: Könnt ihr kurz eure Rollen skizzieren? Du hast deine schon angedeutet …
Mauritz: Genau, ich bin der Conférencier, der durch das Stück führt und immer wieder auftaucht. Man weiß nicht genau, wo der herkommt. Er spricht mehrere Sprachen, ist etwas zwielichtig, mephistophelisch, aus einer anderen Welt. Er versucht die Leute zu animieren – egal, was gerade politisch passiert; es ist der Tanz auf dem Vulkan. Er lacht über das Ganze, bügelt drüber, kehrt alles unter den Teppich und macht nochmal ne große Show Ende der Zwanziger.
Lenk: Und ich bin Cliff, ein Schriftsteller, der nach Berlin kommt, nachdem er bisher schon in anderen Großstädten Europas erfolglos versucht hat, Inspiration für seinen neuen Roman zu finden. Er ist sehr offen, was seine sexuelle Orientierung angeht, stürzt sich in das Berliner Leben und verliebt sich in Sally Bowles, die Hauptfigur.

Die Handlung spielt um 1930 in Berlin, in den Bars und Nachtklubs ist der Teufel los, während die Nationalsozialisten auf dem Vormarsch sind. Wie wird die Inszenierung von Bernd Mottl mit dieser historischen Parallele umgehen?
Lenk: Wir haben viel über dieses Thema gesprochen. Es ist sehr präsent, und wir alle nehmen das sehr ernst.
Mauritz: Man muss es gar nicht aktualisieren. Man kann es einfach so spielen, wie es geschrieben ist. Die Parallelen sind offensichtlich.

Sally und Cliff reagieren unterschiedlich auf die faschistische Bedrohung. Ist Cliff der „Unschuldsengel“, als den ihn Sally am Schluss bezeichnet?
Lenk: Er lässt sich ja sogar von Ernst Ludwig (ein Nationalsozialist / d. R.) einspannen und schmuggelt Geld und Propagandamaterial für die NSDAP aus Paris. Er informiert sich, liest „Mein Kampf“, und langsam wird ihm bewusst, was passieren wird, dass das Leben so nicht weitergehen kann. Darum will er mit Sally nach Amerika gehen. Sie aber mag der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen.

Welche musikalischen Anforderungen stellt das Stück an euch?
Mauritz: Es ist nicht einfach zu singen, vor allem zusammen mit der Choreografie. Da ist man schon mal aus der Puste und denkt, oh Gott, wie singe ich jetzt noch dazu? Die Songs sind auch sehr unterschiedlich, es gibt nicht nur eine Farbe.
Lenk: Ich werde leider gar nicht so viel singen, weil meine Figur eher über das Schauspiel kommt …

… aber du wirst tanzen!
Lenk: Ein bisschen. Ich werd mich bewegen – im Rhythmus (lacht).

Hat „Cabaret“ unterm Strich eine Botschaft oder ist es einfach nur gute Unterhaltung?
Lenk: Beides. Es ist mega aktuell! Die Geschichte wiederholt sich … (überlegt) … hoffentlich nicht, aber bestimmte Sachen kommen wieder hoch. Das geht einem schon ziemlich nahe.
Mauritz: Es ist einfach das passende Musical zu unserer Zeit.
Lenk: Aber es wird hoffentlich auch sehr unterhaltsam. Wir haben eine tolle Hauptdarstellerin, einen tollen Conférencier …
Mauritz: … und einen tollen Cliff (alle lachen).

Interview: Björn Achenbach

aus: ZUGABE Hans Otto Theater Magazin 04 - 2019