Die Kraft der Gruppe

Im Stück Concord Floral kämpfen die Figuren mit Mobbing und den Folgen kollektiven Schweigens. Bei den Proben hingegen geht es erfrischend antihierarchisch zu.
„Es ist wie eine große Spielwiese“: Das mehrsprachige Ensemble von „Concord Floral“
Schon von weitem sirrt und summt es. Töne finden sich zu einem gemeinsamen zusammen, vereinzeln sich, finden ihren Platz im Gefüge. Unter der Leitung von Musikerin Charlotte Brandi proben neun Schauspielstudierende der Filmuniversität Babelsberg einen modern interpretierten mittelalterlichen Choral – mit Ohrwurm-Potenzial. Nach wenigen Sekunden wippt der Körper im Takt mit. Die Kraft der Gruppe steckt an.

Seit Anfang September laufen die Proben mit Regisseurin Lilli-Hannah Hoepner für die diesjährige Koproduktion zwischen dem Hans Otto Theater und der Filmuni. Mit im Team ist auch Choreograf Rônni Maciel. Ein wichtiges Element für die Arbeit mit den angehenden Schauspieler* innen, findet Lilli-Hannah Hoepner: „Mit so vielen Ausdrucksmöglichkeiten können die Studierenden sich von jeder Seite zeigen, das ist toll.“ Teil des Ensembles sind auch drei Schauspielstudentinnen aus der Ukraine, die für ein Jahr in Potsdam studieren. „Ich freue mich wirklich sehr, bei diesem Stück dabei zu sein“, erzählt Viktoria Kosorukova. „Es wirft auf ungewöhnliche Weise sehr wichtige Fragen auf, wie wir als junge Menschen aufwachsen, unseren Platz finden, uns selbst akzeptieren können.“

Geprobt wird mehrsprachig und in rasantem Wechsel: Deutsch, Englisch, Ukrainisch, Russisch, ein bisschen Portugiesisch. Was im ersten Moment nach babylonischer Sprachverwirrung klingt, wird zu einem Wesensmerkmal für das gemeinsame Arbeiten: „Alle beherrschen jede dieser Sprachen unterschiedlich gut, schlecht oder gar nicht, was oft zu witzigen Momenten führt. Es lässt uns erfinderisch werden!“, sagt Schauspielerin Emilie Neumeister, „und spätestens, wenn wir miteinander tanzen, brauchen wir eh keine Sprache mehr.“ Die Vielfalt der Perspektiven einzubinden, ist Regisseurin Hoepner ein großes Anliegen. Deswegen startet das Ensemble ganz untypisch ohne vorab festgelegten Cast. Die ersten Tage sind geprägt von intensivem Lesen in wechselnder Besetzung, jede*r steuert eine eigene Facette für die spätere Rollenarbeit bei. Diese Offenheit ist für das gesamte Team eine spannende Erfahrung. „Es ist wie eine große Spielwiese. Es gibt ein paar Regeln, aber sie geben dir die Freiheit, dein inneres Kind zu entdecken“, berichtet Schauspieler Fabian Hanis.

Nach zwei Wochen sind die Rollen verteilt, die szenische Arbeit beginnt. Doch Dreh- und Angelpunkt bleibt der Kollektiv-Gedanke, aus dem heraus die Geschichte erzählt werden wird. „Im Stück geht es um Gruppendynamik, wie schnell Rollen wechseln und wie fluide der Übergang zur Tat sein kann. Plötzlich ist man bei etwas dabei, das man von außen betrachtet verurteilen würde. Gerade entwickeln wir Ideen, wie das auch auf der Bühne sichtbar wird“, verrät Lilli-Hannah Hoepner und ergänzt: „Gemeinschaft ist ein unglaublich kraftvoller Motor.“

Sina Katharina Flubacher

erschienen in: ZUGABE 03-2022