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Blick auf das Menschsein

Interview mit Regisseurin Catharina Fillers
Was interessiert dich thematisch an dieser Jurysitzung?
Catharina Fillers: Wir haben uns zuerst intensiv mit der Ost-West-Thematik auseinandergesetzt. Inzwischen lese ich es als ein Stück darüber, wie Menschen über Geschichte nachdenken und wie sie unfähig sind, miteinander eine Zukunft zu entwerfen und auch umzusetzen. Wir befinden uns gerade an einem Punkt, an dem die Welt innehalten und eine Umkehr planen muss. Aber das scheint unmöglich zu sein. Angesichts der Klimakatastrophe stehen wir kurz vor einem Ende. Ich frage mich, warum Gesellschaften sich selbst zerstören und was das Urmenschliche ist, das dem im Weg steht, endlich alle Fähigkeiten zu bündeln und etwas völlig Neues zu denken. Auch wenn immer wieder das Denkmal und Ost-West-Themen in den Mittelpunkt rücken, dringen im Stück doch zugleich vier sehr unterschiedliche Grundstrategien durch.

Welche sind das?
Es gibt Marion, eine sehr rückwärtsgewandte Person, die in ihrem Leben etwas Großes geleistet hat und aus diesem Punkt noch immer ihre Identität bestimmt. Sie blickt nach hinten. Dort ist ihr einziger Fundus, aus dem sie eine Zukunft kreieren könnte. Dann gibt es Robert, der das Gefühl hat, keine eigene Vergangenheit zu haben. Er möchte sich die Geschichte der anderen als Vermächtnis kaufen, er möchte überleben, Spuren hinterlassen, aber es werden nicht seine eigenen sein. Auch er wird nicht Neues erfinden. Dann gibt es Jenny, die Intellektuelle, die sich als analytische Beobachterin sieht. Ihr fällt nicht auf, dass die ganze Zeit auch ihr eigenes Leben verhandelt wird. Wenn sie nicht begreift, dass es auch um ihren Untergang geht, führt ihre ganze Klugheit zu gar nichts. Und es gibt Moritz, der alles verwaltet und der nicht auf die Idee kommt, es zu seiner Sache zu machen, weil er mit der Funktionalität und den Abläufen beschäftigt ist. Moritz muss die Denkmalentscheidung vorantreiben, aber mit seinem Herz, mit seinem Sein hat sie so gar nichts zu tun.

Werden die Debatten einer heterogenen Stadtgesellschaft abgebildet?
Wir erleben in dem Stück eine Situation, die heterogene Haltungen und Interessen sichtbar macht. Dennoch wird die Debatte keinesfalls divers geführt. So wie auch der Diskurs in den letzten 30 Jahren nicht divers geführt wurde, denn viele andere Perspektiven blieben dabei ausgeschlossen und unbeachtet.

Welche Dimension eröffnet die fünfte Gestalt in dem Gefüge?
Der Engel steht für das Prinzip der Ewigkeit und blickt völlig anders auf Zeit, auf das Entstehen und Vergehen. Er ist ein wunderbares Gegengewicht, dabei aber zum Glück von der Autorin nicht als eine Lösung geschrieben. Gemeinsam mit dem Engel auf die Jurysitzung und auch auf die gesamte Menschheit zu blicken, hat uns die Möglichkeit eröffnet, ein größer gedachtes Setting zu erfinden – und damit in eine größere Distanz zu gehen.

Interview: Bettina Jantzen

Diorama

Die im 19. Jahrhundert entwickelten Dioramen arrangieren und rekonstruieren scheinbar wirklichkeitsgetreu Ereignisse, Geschichten und Lebensräume. In diesen Schaukästen (hinter Glas) werden naturkundliche, anthropologische und historische Sammlungen in Museen präsentiert. Vor einem Hintergrundgemälde werden Objekte arrangiert und so ein Lebensraum oder das vermeintlich ursprüngliche Umfeld in Szene gesetzt. Dioramen zeigen die menschliche Inszenierung einer möglichst perfekten Illusion von Wirklichkeit. Zeit wird dabei zum Stillstand gebracht, Leben als fixierter, ausschnitthafter Zustand gezeigt. Anzuschauen ist nicht nur die menschliche Kenntnis der Welt, sondern auch die von der jeweiligen Gegenwart geprägte Perspektive auf sie. – In der Inszenierung ließen sich Regisseurin Catharina Fillers und Ausstatterin Maria Wolgast von dem historischen Präsentationsformat inspirieren.