DIE REGISSEURIN Caro Thum IM GESPRÄCH

Die Story liest sich auf den ersten Blick wie ein Actionthriller. Die Inszenierung bringt das
Geschehen als Kammerspiel auf die Theaterbühne. Worauf liegt der Fokus?

Der Fokus liegt in dieser Arbeit ganz klar abseits der Action-Handlung, das kann Film einfach besser. Wir konzentrieren uns vor allem auf den ersten Teil des Buchs, auf das Verhältnis Smillas zu ihrer verlorenen Heimat Grönland, ihre Entwurzelung und das Gefühl, dort wo man ist, niemals ganz ankommen zu können, die ewig Fremde zu sein. Der Stoff behandelt den Kampf um eine verlorene Identität.

Die Titelfigur ist auf der Suche nach Wahrheit. Zuweilen hat man das Gefühl, sie verrennt
sich dabei. Was treibt Smilla um?

Jesajas Tod wirft Smilla aus der Bahn. Der Junge bedeutete ihr viel mehr als ein verletzlicher kleiner Freund. Er hätte eine Korrektur ihrer eigenen Geschichte und ihres eigenen Scheiterns sein oder werden können. Etwas Gelingendes in der schwierigen Gemengelage zwischen Grönländern und Dänen. Sie formuliert das einmal so: „Ich sehe das Gelungene an anderen. Nur ich selber kann nicht gelingen. Jesaja wäre fast gelungen. Er hätte ankommen können. Er hätte Dänemark in sich aufnehmen, es transformieren und Sowohl-als-auch sein können.“
Ich denke, was Smilla umtreibt, ist, neben der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit, vor allem das Sezieren des eigenen Scheiterns. Das hat auch etwas Masochistisches und beinhaltet eine quälende Konsequenz in der Selbstbetrachtung. Sie sagt: „Ich will verstehen, weshalb er gestorben ist. Es heißt, dass man verstehen muss, um abschließen zu können. Das ist ein Irrtum. Nur, was man nicht versteht, kann man abschließen. Verstehen wollen heißt, dass wir etwas zurück zu erobern versuchen, was wir verloren haben.“

Ihre Kindheit verbrachte Smilla bei der Mutter in Grönland, einer Robbenfängerin. Die
Ehe der Inuit-Frau mit dem dänischen Arzt hielt nicht. Nach dem Tod der Mutter holte ihr
Vater sie nach Kopenhagen. Smilla ist fremd in Dänemark. Warum kommt sie nicht an?

Smillas Charakter ist mit der Kälte und der Weite verbunden. Mit Rauheit und Einsamkeit. Sie ist außerdem durch und durch Naturwissenschaftlerin. Die kleinteiligen zwischenmenschlichen, auf den eigenen Vorteil bedachten Spiele bedeuten ihr nichts. Sie sind ihr zu einfach, zu banal. Smilla steht für das Klare und Gerade, das Große und Ganze. Das Leben in Dänemark ist ihr zu eng, zu unübersichtlich. Letztlich ist sie wie eine Eisbärin in einem Zoo. Sie kann in Dänemark überleben, wird aber niemals heimisch sein. Ein fremdes Wesen am falschen Ort.

Smilla hat diese Außenperspektive, mit der sie die Gier ehemaliger Kolonialmächte nach
dem Reichtum grönländischer Ressourcen scharf ins Visier nimmt. Ist sie eine Kämpferin
auf verlorenem Posten?

Nicht mehr oder weniger als alle anderen Leidtragenden der verschiedenen Kolonialgeschichten. Wie auch unzählige andere indigene Völker wurden die Inuit durch Missionierung ihrer eigenen Identität und Tradition beraubt, zur Sesshaftigkeit gezwungen, ausgebeutet und mit dem daraus resultierenden Elend, wie Bildungsarmut und Alkoholsucht, alleingelassen. Smilla ist durch ihren dänischen Vater privilegiert, aber sie beklagt die Verhältnisse, unter denen die Grönländer in Dänemark chancenlos und als nur geduldete Menschen zweiter Klasse leben.

Smilla ist eine attraktive Frau. Welche Rolle spielen die Männer in ihrem Leben?

Smilla ist ein Vernunftmensch, sie ist kühl und hochintelligent. Sie hat die Ehe ihrer Eltern scheitern sehen und sieht ihren Vater, wie er sich aus Sehnsucht nach Lebendigkeit in einer Beziehung zu einer viel jüngeren Frau abrackert. Das Ganze wirkt auf sie erbärmlich und albern. Smilla misstraut dem Emotionalen und Unberechenbaren. Sie ist zu rational und klug, um sich sehenden Auges auf die Gefahren der Liebe einzulassen und zu zerbrechlich, um die Verletzungsrisiken in Kauf zu nehmen: „Ich verliebe mich nicht mehr. Dafür sehe ich zu klar. Verliebtheit ist eine Art Irrsinn. Eng verwandt mit dem Hass, mit der Kälte, dem Rausch, dem Selbstmord.“ Gefeit ist sie, wie wir erfahren, davor allerdings nicht, was ihr Verhältnis zum Mechaniker besonders tragisch macht.

Das Gespräch führte Carola Gerbert

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