„Will in der Welt“. Wie Shakespeare zu Shakespeare wurde“

Von Stephen Greenblatt, erschienen im Berlin Verlag 2004

„Die führende Truppe von Wanderschauspielern im Lande waren die Queen’s Men, die sich 1787 in Stratford aufhielten, und ihnen fehlte ein Schauspieler … Einer der Hauptdarsteller der Queen’s Men, William Knell, hatte sich in betrunkenem Zustand mit seinem Kollegen John Towne geprügelt und war dabei getötet worden … Shakespeare hätte sicher den erfahrenen Knell nicht direkt ersetzt, aber durch Umverteilung der Rollen innerhalb der Truppe, hätte man ihn als Hilfsschauspieler gegen ein bescheidenes Honorar angestellt …

… Falls ihn im Juni 1587 die Queen’s Men einstellten, dann wäre die Truppe durch die Städte und die Häuser gastfreier Adliger in Mittelengland weitergezogen, Im August war die Truppe, oder ein Teil von ihr, nach Südosten gezogen, dann weiter über Städte wie Hythe und Canterbury in Richtung Hauptstadt. Eine solche Route hätte Shakespeare die Möglichkeit gegeben, in einer beruhigend vertrauten Provinzumgebung seine Fertigkeiten zu vervollkommnen: ein paar Tanzschritte zu lernen, herauszufinden, wie man schnell sein Kostüm wechselt, eine Massenszene oder Schlachtenszene überzeugend zu entfalten und einen Begriff vom Repertoire zu bekommen. Er musste seine Rollen schnell lernen – niemand, der nicht über ein außerordentliches Gedächtnis und eine bemerkenswerte Improvisationsgabe verfügte, hätte in der von Konkurrenzgeist erfüllten Welt des elisabethanischen Zeitalters überleben können. 

… Als Shakespeare Ende der 1580er Jahre wahrscheinlich als angestellter Schauspieler einer reisenden Truppe nach London, betrat er eine vergleichsweise neue Szene, offen und in Entwicklung begriffen. Die Schauspielertruppen (bislang vor allem in Südengland auf Tournee), waren an ein Nomadenleben gewöhnt gewesen, dabei änderte sich ihre Zusammensetzung ständig, zeitweilig spalteten sie sich auf und vereinigten sich dann wieder. Der Aufstieg der öffentlichen Theater in einer Stadt mit rasch wachsender Bevölkerung, die nach Amüsement dürstete, bot zumindest einigen dieser Truppen die Gelegenheit, sich eine lukrative Heimatbasis zu verschaffen, wo sie den größten Teil ihrer Vorstellungen gaben. Doch selbst für die erfolgreichsten Theaterunternehmen war der Übergang zu einer sesshaften Existenz (Mittelpunkt war in London), nicht einfach. Als die Truppen noch auf Tournee waren, zogen sie nach ein paar Aufführungen zum nächsten Ort und die Schauspieler konnten mit einem bescheidenen Repertoire auskommen. In London ging das nicht. Die offenen Amphitheater waren groß – sie fassten 2000 oder noch mehr Menschen – die Stadt (nach Maßstäben des 16. Jh. dichtbevölkert) hatte nur etwa 200 000 Einwohner. Wenn man wirtschaftlich überleben wollte, genügte es daher nicht, pro Saison ein oder zwei erfolgreiche Stücke zu inszenieren und sie für eine vernünftige Zahl von Wiederholungen zu pflegen. Die Theatertruppen mussten große Mengen von Menschen dazu bewegen, sich den regelmäßigen Theaterbesuch zur Gewohnheit zu machen, und das bedeutete ständig wechselndes Repertoire von 5-6 Stücken pro Woche.  Schon allein die Dimension des Unternehmens ist erstaunlich: für jede Truppe nahezu 20 neue Stücke pro Jahr und dazu noch etwa 20 Stücke, die man aus früheren Spielzeiten übernahm.“