Was ist gerecht?

Mit der Gegenwartskomödie "Jeeps" gibt Max Claessen sein Regie-Debüt am Hans Otto Theater.
v.l.: Katja Zinsmeister, Philipp Mauritz, Jon-Kaare Koppe, Janni Struzyk, Laura Maria Hänsel
Ein großer Smiley prangt auf der Schirmmütze von Max Claessen. Darunter verbirgt sich ein nachdenklicher Kopf. Aktuell befasst sich der 45-jährige Regisseur mit Fragen des Erbrechts, denn er inszeniert „Jeeps“, eine rasante Zeitgeist-Komödie von Nora Abdel-Maksoud. Die Handlung spielt in einem Jobcenter, das seit einer radikalen Erbschaftsreform dafür zuständig ist, das Vermö_gen Verstorbener zu verteilen. Niemand hat mehr das Recht auf ein individuelles Erbe, sondern man muss ein Los für die Erblotte_rie beantragen. Nicht jedes Los ist ein Gewinn …

Ein Vorteil finanzieller Sicherheit ist die freie Berufswahl. Als Beamtensohn kann sich Claessen den „Luxus“ leisten, Regisseur zu werden – so sieht er es selbst. Geprägt und für das Theater entflammt hat ihn vor allem seine Mitgliedschaft im Kinderchor der Staatsoper Hannover. „Sie brauchten damals unbedingt Jungs“, lacht der Niedersachse. Auch in „Jeeps“ wird gesungen. Janni Struzyk gibt an der Tuba den Takt vor. Es war der Bühnenbildner Dieter Flimm, ein Schulfreund seines Vaters, mit dem zusammen er beschloss, Theaterregisseur zu werden. Er studierte zunächst Theater- und Medienwissenschaften, Literatur- und Kunstgeschichte in Erlangen. Dann wurde er Regieassistent am Thalia Theater Hamburg, wo er mit prägenden Regiegrößen wie Dimiter Gotscheff, Andreas Kriegenburg, Armin Petras und Alize Zandwijk zusammenarbeitete. Während dieser Zeit übernahm er auch öfter selbst kleinere Rollen. „Über meine Inszenierungen wird gesagt, dass ich einen starken Zugriff hätte. Das mag so sein, aber am Ende sind im Theater viele Köpfe beteiligt. Ich versuche im Grunde nur, alles zu einem Ganzen zusammenzufügen“, sagt Claessen. Aber natürlich hat er als Regisseur eigene Ideen für jede Inszenierung. In „Jeeps“ steht das Arbeitsamt stellvertretend für unsere Gesellschaft. „Das Streben nach Gerechtigkeit durch das eine Mittel, das wir eben haben – die Gerichtsbarkeit –, kann zu sehr komplizierten Strukturen führen, die in den Verwaltungen manchmal absurde Ausmaße annehmen“, hat Claessen beobachtet. In „Jeeps“, dieser „toll geschriebenen“ Komödie, bricht sogar Gewalt aus, weil eine Figur das Erbe ihrer Familie zurückfordert. Das habe zwar auch komische Züge. „Doch die große Frage dahinter heißt für mich: Was ist gerecht?“

Elena Iris Fichtner
Erschienen in: ZUGABE Hans Otto Theater Magazin 04-2023

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