„ES IST SO FRIEDLICH BEI UNS, NICHT WAHR?“

Dramaturg Christopher Hanf mit einigen Überlegungen zu Stück und Inszenierung
Ist das eigentlich okay: lachen über Leichen, sich amüsieren über Morde? Angesichts einer Wirklichkeit von Krieg, Terror und Gewalt, die absolut nicht zum Lachen ist? Diese Frage könnten sich auch die Zuschauer*innen der Broadway-Inszenierung von „Arsen und Spitzenhäubchen“ im Jahr 1941 gestellt haben. Denn drüben auf der anderen Seite des Ozeans tobte gerade der blutigste Krieg aller Zeiten. Wie die Figuren aus dem Stück wähnte sich womöglich auch das New Yorker Publikum auf einer sicheren Insel der Seligen in dem festen Glauben, „dass einem an diesem Ort der Krieg und die Gewalt besonders abwegig erscheinen“ können. Dass sich aber mindestens die Figuren des Stücks in dieser Einschätzung gewaltig irren, zeigt der weitere – irrwitzige – Verlauf des Bühnengeschehens. Irrtum und Irrsinn liegen in dieser Komödie ohnehin nur wenige Buchstaben und Kellertreppen voneinander entfernt.

Falsche Gewissheiten zu zerstören, liebgewonnene Idealvorstellungen zu attackieren, munter in Tabuzonen vorzudringen, die bequeme moralische Möblierung unserer gesellschaftlichen Behausung zu schreddern – das gehört zu den Wirkweisen des schwarzen Humors, der auch in „Arsen und Spitzenhäubchen“ reichlich zur Anwendung kommt. Dabei ist es dieser sehr speziellen Form von Komik gewissermaßen eingeschrieben, dass hier die ansonsten üblichen Regeln politischer Korrektheit außer Kraft gesetzt sind. Im Modus des Makabren operiert sie bewusst an den Grenzen des guten Geschmacks und seziert mit witzgestähltem Skalpell den Gesellschaftskörper, um freizulegen, welcher Aberwitz unter der humanistisch aufgehübschten Außenansicht wuchert und spukt.

Wenn in unserer Inszenierung über dem Wohnzimmer der Brewster-Sisters – im Kreuzstich gestickt – der erste Satz der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung prangt („all men are created equal – alle Menschen sind gleich geschaffen“), markieren die beiden Damen so nach außen hin deutlich, dass sie sich ganz den Werten der westlichen Zivilisation verschrieben haben. Ihre forcierte Form der Sterbehilfe praktizieren sie denn auch im festen Glauben, das Gute zu tun. Weil sie meinen entscheiden zu können, was ein lebenswertes oder lebensunwertes Dasein ausmacht, verüben sie ihre Morde in bester Absicht. Dass Martha und Abby (wenigstens unbewusst) außerdem einen gewissen Lustgewinn aus ihrer vorgeblich rein ethisch motivierten tödlichen Wohltätigkeit ziehen, bringt eine zusätzliche Note in die holunderweinselige Gemengelage.

Sigmund Freud hätte vermutlich seine Freude gehabt an diesem Stück. In dessen tiefenpsychologischen Modell spielen ja die Diskrepanz zwischen Bewusstem und Unbewusstem sowie vielerlei Mechanismen der Verdrängung eine wesentliche Rolle. Die sprichwörtlichen Leichen im Keller des Brewster-Hauses wären ein angemessener Ausdruck solcher Verdrängungsleistungen. Eine enorme Bereitschaft zur Verdrängung zeigt sich im Übrigen auch und gerade unter den staatlichen Gesetzeshütern, also unter den Police-Officern. Das Offensichtliche – die Mörder*innen vor ihren Augen – sehen sie nicht. Weil nicht sein kann und darf, was ihr liebgewonnenes Weltbild durcheinanderbringt, was ihre gewohnten Denkschemata stört.

Von diesen eher privaten Vorgängen im Hause Brewster ließen sich manche Verbindungslinien größeren Maßstabs zu Praktiken unserer westlichen Zivilisation allgemein ziehen: Im Namen der Menschlichkeit Leid und Gewalt zu verbreiten, ist ein bekanntes Muster des westlichen Weltbeglückungsprojekts. Und dass Teddy in seiner Rolle als Präsident der USA die Folgen der familiären Untaten in ferne Länder, also nach Panama auslagert bzw. entsorgt, lässt gewisse koloniale Praktiken des Westens mindestens assoziativ anklingen. Allerdings sollte man das Stück in dieser Hinsicht auch nicht überstrapazieren, denn seinem Wesen nach will diese Komödie nicht belehren, nicht didaktisch anklagen, sondern vielmehr auf irritierende Weise unterhalten und uns mit hineinnehmen in die groteske Natur der Wirklichkeit: „Wenn du dir was in den Kopf setzt, verlierst du im nächsten Moment den Verstand.“

Ein Drink gefällig?

Auszüge aus einem Interview mit den beiden Darstellerinnen des Mörderinnen-Duos, Janine Kreß (Martha) und Bettina Riebesel (Abby)
Zwei hippe ältere Damen: Abby (Bettina Riebesel) und Martha (Janine Kreß) in "Arsen und Spitzenhäubchen"
Wie würdet ihr die beiden Figuren charakterisieren?
Riebesel: Nach außen hin total freundlich, liebenswürdig und offen. Gastfreundlich geradezu. Ich finde es schon interessant, mal ein Frauenbild zu zeigen, das nicht so ganz in diese Gesellschaft passt.
Kreß: Wir sind uns auch einig mit der Regie und dem Kostüm, dass diese älteren Damen durchaus ihre Abgründe haben und sie lustvoll ausleben. Dass wir diesem viktorianischen Bild der alten Tanten entgegenwirken wollen. Sie werden eher farbenfroh gekleidet sein. Man könnte sie als hippe ältere Damen bezeichnen.

Spielt ihr gern schräge Typen?
beide: Ja, absolut!
Riebesel: Das macht mir großen Spaß, weil es so viele Facetten hat. Auch mal komödiantisch über die Stränge schlagen und etwas zeigen zu können, was man sonst nicht so zeigen kann. Das ist ja das Interessante an unserem Beruf.
Kreß: Das Verrückte verbirgt sich ja oft. Man sieht es den Leuten auf der Straße nicht an. Das sichtbar zu machen, kann sehr lustvoll und freudebringend sein.

Abby und Martha sind de facto Serienmörderinnen, aber eigentlich meinen sie es gut mit ihren Opfern … Könnt ihr ihnen dabei gedanklich folgen?
Kreß: Man muss ja kein Serienmörder sein, um einen Serienmörder spielen zu können. Aber ich kann diesem Gedankenkonstrukt schon folgen: Wie tief können Abgründe sein, wie weit geht die Gesellschaft da mit, deckt es vielleicht sogar, weil sie es nicht wahrhaben möchte. Dieses Vexierspiel von Schein und Sein ist ein schöner Widerspruch.
Riebesel: Und sie haben keinerlei Unrechtsbewusstsein!

Warum ist das so?
Riebesel: Ich glaube, sie denken gar nicht darüber nach. Für sie ist das eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Traurige, einsame, alte Menschen …
Kreß: … Männer! Sagen wir’s mal ruhig …
Riebesel: … von ihrem Los zu befreien und ins Jenseits zu befördern, um ihnen Frieden zu geben.

Welches Verhältnis habt ihr generell zum Thema schwarzer Humor?
Riebesel: Für mich ist das absolut neu.
Kreß: Ich liebe zum Beispiel Monthy Pyton – und das ist ja nun voll der schwarze Humor. Ich sitze da und hau mich wirklich weg. Es spielt auch in die aktuelle Diskussion über politische Korrektheit hinein. Ich finde, dass man sich auf diese schwarzhumorige Art und Weise auch über bestehende Verhältnisse lustigmachen kann. Mir liegt das sehr. Ich mag’s einfach.

Worin liegt der Witz dieser Geschichte?
Riebesel: Eben in diesem fehlenden Unrechtsbewusstsein. Das ist alles sehr naiv, freundlich und offen gedacht. Die Morde werden mit Fantasie und Charme durchgeführt. Das macht es für mich aus. Es ist schwierig, da psychologisch ranzugehen.
Kreß: Die beiden können ja eigentlich kein Wässerchen trüben. Dadurch, dass ihr Neffe Mortimer die Tragweite ihres Handelns erkennt, entstehen ein solcher Esprit und ein solcher Humor – das ist ein ganz toller Widerspruch.
Riebesel: Sie wollen es ja gar nicht wahrhaben, was er ihnen sagt. Sie verstehen auch nicht, dass er daran verzweifelt. Abby und Martha pflegen zudem ein besonderes Stilbewusstsein. Die Beerdigungen ihrer Opfer zelebrieren sie mit wahrer Inbrunst.
Kreß: Naja, das geht eben so weit, dass sie sich sagen: So ein Opfer muss dann auch anständig beerdigt werden. Das verlangt die Menschenwürde. Also werden die Toten stilvoll im Keller begraben, mit Andacht und Kerzenschein. Das ist eben der schwarze Humor in der Geschichte. Für sie gehört das dazu.

Welches Frauenbild verkörpern die beiden?
Riebesel: Sie sind selbstbestimmt und lassen sich nichts vorbeten, von Männern schon gar nicht. Sie sind allein fähig, sich etwas auszudenken und das auch durchzuziehen. Sie sind also keine Mauerblümchen, die auf Anweisungen warten, sondern wissen selber, was sie wollen. Und natürlich ist es vielleicht auch eine Ablenkung von eigenen Defiziten …
Kreß: … oder eine Lustverlagerung.
Riebesel: Es steigert natürlich auch die Erregung, je höher die Opferzahlen klettern.

Erschienen in: ZUGABE 05-2023 (Interview: Björn Achenbach)


Weiterführende Links

Hintergründe zur Entstehung und Uraufführung des Theaterstücks „Arsen und Spitzenhäubchen“
Die berühmte Verfilmung von „Arsen und Spitzenhäubchen“ von Frank Capra mit u.a. Cary Grant und Peter Lorre gehört zu den Klassikern der Filmgeschichte. Hier können Sie den Trailer anschauen.
Der Begriff „schwarzer Humor“ wurde von dem Franzosen André Breton geprägt, der als einer der wichtigsten Dichter und Theoretiker des Surrealismus gilt und in seiner „Anthologie des Schwarzen Humors“ (Erstausgabe 1939) diese Form von Komik anhand von literarischen Texten umkreist. Der schwarze Humor ist von seinen Grundlagen her also eng mit einer surrealistischen Perspektive auf die Welt verbunden.
Im Kontext der Horror-Groteske sind, wenn man möchte, einige ernstere gesellschaftskritische Aspekte auszumachen, die hier wie in einem Zerrspiegel entstellt in Erscheinung treten. Wenn die Brewster-Schwester entscheiden, was ein lebenswertes oder lebensunwertes Dasein ausmacht, ist die Sterbehilfethematik angerissen. Außerdem kann man reale Vorkommnisse aus dem Krankenhaus- und Pflegebereich assoziieren, wo Pflegekräfte in angeblich guter Absicht Patient*innen töteten.
Eine zentrale Rolle im Stück spielen die Leichen im Keller, die ja sprichwörtlich sind. Wenn man dieser Metapher folgt und den Maßstab größer zieht, kann man im gesellschaftlichen Kontext auch an westliche koloniale Praktiken denken, bei denen die unliebsamen Folgen der eigenen Lebensweise an andere Orte ausgelagert, verdrängt und externalisiert werden. Dazu hat der Soziologe Stephan Lessenich ein Buch (2016) verfasst. Hier können Sie Interviews mit Stephan Lessenich über diese Thematik nachlesen.
Ein weiteres zentrales Motiv im Stück ist, dass an verschiedenen Stellen sowohl die Polizisten also auch Mortimer das eigentlich Offensichtliche nicht sehen. Die eigentlich offensichtlich drohende Gefahr sowie die Mörder*innen vor ihren Augen sehen sie nicht, weil sie sie nicht sehen wollen. Weil nicht sein kann und darf, was ihre gewohnten, bequemen Denkschemata stört. Da könnte man auch unseren gegenwärtigen Umgang mit der drohenden Klimakatastrophe assoziieren.